Man soll von österreichischen Fußballern niemals zu viel verlangen. Da begab sich am Montagvormittag ein Häufchen Elend auf die Reise nach Istanbul, man schwieg sich an. Flugzeuge bieten keine Keller, also gab es auch keinen Platz zum Lachen. Der Nationalmannschaft vorzuwerfen, dass ihr jeglicher Schmäh abhandengekommen ist, wäre hanebüchen, unfair, blöd. Vor dem Spiel gegen Belgien wurde viel versprochen, zwar nicht der EM-Titel 2012, aber doch ein Sieg angekündigt. Großen Worten folgte die winzige Tat, das jammervolle 0:2.
Die konkrete Auswahl befindet sich in einer Situation, die sich mit bewundernswerter Regelmäßigkeit wiederholt. Man droht an den eigenen Ansprüchen, die traditionell zu hoch angesetzt sind, zu scheitern. Aber Spitzensport ist eine Form von Selbstbetrug. Die Behauptung, das ÖFB-Team habe mit Spitzensport nur am Rande zu tun, wäre halblustig und ganz billig. Es ist der Zeitpunkt erreicht, zu dem sich Verbandspräsident Leo Windtner zu Wort meldet. Weil er gefragt wird. Weil er die Öffentlichkeit nicht scheut. Am Dienstagabend möchte er im Fenerbahce-Stadion von seinem VIP-Platz aus Folgendes registrieren: "Ich will sehen, dass jeder seine Knochen hinhält. Ich will keinen Schockzustand wie gegen Belgien erleben. Sie sollen sich aus dem tiefen Loch, in das sie selbstverschuldet gefallen sind, wieder rausziehen." Vielleicht sei die Türkei sogar ein dankbarer Gegner. "Es hat eine Schubumkehr stattgefunden, der Erwartungsdruck ist weg, die Öffentlichkeit verlangt von uns nichts. So schnell geht das."
Und wie geht es Teamchef Dietmar Constantini? Mittelmäßig. Er wirkt angeschlagen, mürrisch, dünnhäutig, will aber doch das Gefühl vermitteln, ein cooler Hund zu sein. "So ist halt der Job, was soll ich mich aufregen? Unter Horrorszenario verstehe ich andere Dinge als Fußball. Bleiben wir auf dem Boden, schauen wir lieber, was momentan auf der Welt passiert. Das Wort Schicksal will ich in Zusammenhang mit einem Spiel nicht hören."
Lauwarm
Sollte es in Istanbul schieflaufen - quasi senkrecht wäre eine schwache Leistung in Kombination mit einer deutlichen Niederlage -, dann wird Windtner handeln. Der Präsident streitet das gar nicht ab. "Obwohl der ÖFB für Kontinuität steht." Constantini weiß das. "So ist der Job. Ich trage die Verantwortung, und ich bin froh darüber. Ich kann Dinge gut einschätzen." Und er sagt, dass sein Kampfgeist ungebrochen sei, zumal auch andere Trainer abserviert wurden. "Der Krankl lebt, der Prohaska lebt, der Hickersberger lebt, der Brückner lebt. Also wird auch der Constantini leben. Findet jemand diese Aussage lauwarm, soll er sie lauwarm finden."
Das Spiel gegen die Türkei muss zunächst einmal ausgetragen werden. Diese Weisheit mag körperliche Schmerzen bereiten, sie stimmt aber. Und Constantini stellte vor dem Abschlusstraining fest: "Ziel ist der Sieg. Ob das realistisch ist, wird sich weisen. Wir müssen nach vorn schauen. Jeder muss auf sich konzentriert sein. Diese Latte liegt noch höher als jene gegen Belgien. Angeblich soll die Türkei Schwächen haben, hoffentlich zeigen sie diese her."
Die Stimmung im Fenerbahce-Stadion wird laut Ümit Korkmaz "die Hölle" sein. Kann sein, dass er von Beginn mitmachen darf. Marc Janko ist nur zur seelischen Unterstützung mitgereist, sein Schultereckgelenk ist lädiert. "Passt zu meiner Situation." Zlatko Junuzovic ist in Wien geblieben, ein Bluterguss umgibt und versteckt einen Knöchel. Jürgen Macho, der gegen Belgien patzte, bleibt im Tor. Constantini: "Jeder Mensch verdient eine zweite Chance. Mir geht es gut. So ist der Job. Jedes Spiel ist anders." (Christian Hackl aus Istanbul, DER STANDARD, Printausgabe, Dienstag, 29. März 2011)