Das Thema, wer ist wann ein Lobbyist, wird uns noch längere Zeit beanspruchen, ohne dass man sich allzu große Hoffnung auf letzte Erhellung machen sollte. Zuletzt gab es dazu zwei diametral entgegengesetzte Bekenntnisse österreichischer Seelen, von denen eine ihre unerfüllte Sehnsucht wenigstens nach Anfütterung mit den Worten Ich bekenn's - ich bin "Lobbyist" zum Ausdruck brachte, während die andere grenzüberschreitende Fütterung zur normalsten Sache der Welt erklärte mit dem Satz: "Ich bin kein Lobbyist, sondern ein unabhängiger Aufsichtsrat in einem deutschen Energie-Unternehmen." Das erste Bekenntnis gab Andreas Mölzer in der freiheitlichen "Zur Zeit" ab, das andere der bis Sonntag als großer Schweiger verkannte Wolfgang Schüssel auf einer ihm vom "Kurier" gewidmeten Doppelseite.
Mölzer weiß selber, dass der Inserierung seiner Adresse als Lobbyist kein Erfolg beschieden sein kann. Als EU-Nonkonformist und fraktionsloser Abgeordneter, als böser Rechtspopulist und Angehöriger der Schmuddelkinder-Riege ist man für das Lobbying internationaler Konzerne und mächtiger Interessengruppen schlicht und einfach uninteressant. Leider - irgendwelche Talente muss man schon mitbringen, will man ins Geschäft einsteigen, und Geständnisse wie Ich bin nicht nur Lobbyist, ich bin auch Katholik locken nicht einmal einen nach der österreichischen Staatsbürgerschaft lechzenden Russen an, wenn die Einschränkung folgt: Ein schlechter zwar, aber der Satz "Führe uns nicht in Versuchung" erscheint mir im gegenständlichen Zusammenhang höchst bedeutsam.
Der weit verbreitete und sich immer noch verstärkende Eindruck, dass es sich bei der schwarz-blauen Koalition um eine Schmuddelkinder-Riege gehandelt haben könnte, hat das deutsche Energieunternehmen RWE nicht davon abgehalten, deren ersten Angehörigen als Zierde seines Aufsichtsrates anzuwerben. Vielleicht haben die nervösen Deutschen es ja Wolfgang Schüssels Intervention in diesem Gremium zu verdanken, dass er dem "Kurier" zum Thema Atomkraft mitteilen konnte: Zuletzt hat RWE stark in Erneuerbare Energie investiert. Dazu hätte man gerne Näheres gewusst, aber höflich, wie die Interviewerin war, hat sie die Frage erst gar nicht gestellt, was einen deutschen Energiekonzern wohl bewogen hat, sich unter die unabhängige Aufsicht eines emeritierten Ösi-Kanzlers zu begeben. Vielleicht geschah es, weil RWE verhindern wollte, dass der Stromexperte Schüssel sein Geheimwissen über Erneuerbare Energie als Lobbyist an die Konkurrenz verschleudert.
Mehr wird Zeithistoriker interessieren, dass die von ihm geleitete Schmuddelkinder-Riege ihre Wirksamkeit nicht etwa frei entfalten konnte, sondern unter Aufsicht stand. "Ich habe aufgepasst wie ein Schäferhund, gerade was Good Governance und Sauberkeit betrifft", beteuerte Schüssel, auf seine Auswahl und Kontrolle ministerverantwortlicher Schmuddelkinder angesprochen. Ohne den Bogen kynologischer Betrachtungen überspannen zu wollen, wäre dieser Angriff auf die Ehre des deutschen Schäferhundes ein Skandal, hätte Schüssel nicht im selben Atemzug eingestanden, dass seine Wachsamkeit höchstens einer Promenadenmischung zur Ehre gereicht haben kann: Es kann durchaus sein, dass mein Vertrauen missbraucht wurde. Wenn dem so wäre, würde es mich wirklich treffen. Ich bilde mir aber ein, immer einen wachsamen Blick gehabt zu haben. Es soll ja Chihuahuas geben, die träumen, sie wären ein Schäferhund.
Etwa, wenn der nö. Landeshauptmann "Fuß!" ruft. Ernst Strasser kam ja auf Empfehlung von Erwin Pröll in die Regierung. Der ist heute selber total erschüttert, hilft ihm aber nix, den Letzten in der Kette beißt - der Schäferhund: Ich muss ganz offen sagen, ich habe mich sehr gewundert. Auch bei der Buwog. Ich verstehe bis heute nicht, warum ein Unternehmen irgendeinem obskuren Burschen Millionenhonorare für irgendwelche Beratungen zahlt. Sein Staatssekretär und Aufpasser bei Grasser, ein gewisser Finz, war halt auch nicht der geborene Schäferhund.
Aber die Zeit heilt alle Bisswunden, am besten die nicht zugefügten. Man muss natürlich die Dinge auch zu der Zeit beurteilen, wo sie stattfinden. Dazu müsste man freilich aufpassen wie ein Schäferhund. Zum Glück ist es bei uns dazu zu spät, aber das wirkliche Bindeglied im Leben ist Vertrauen. Man kann die RWE zu diesem Aufsichtsrat nur auf das Innigste beglückwünschen. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 29.3.2011)