Das Libyen-Abenteuer des Westens, das frei nach der Devise "100 Mann und kein Befehl" begann, hat zumindest wertvolle Klärung innerhalb der Atlantischen Allianz gebracht. Frankreichs jahrzehntealte Obsession für "europäische" Militäreinsätze an der Nato vorbei hat einen - hoffentlich bleibenden - Dämpfer erhalten. Und die Türkei hat sich im Zug des Libyen-Konflikts einen neuen Platz in der Nato ertrotzt: Aus dem ehemals wichtigen Verbündeten an der Südostflanke während des Kalten Kriegs wird gerade ein neues Gravitationszentrum für Europa und die arabische Welt.

Beim Libyen-Einsatz hat Ankara den politischen und humanitären Part erhalten, den es wollte. Regierungschef Tayyip Erdogan kann den libyschen Machthaber Gaddafi anrufen oder den syrischen Autokraten Bashar al-Assad und dem einen den Rücktritt empfehlen, den anderen zu demokratischen Reformen auffordern, wohl ohne dass der Hörer aufgelegt würde. Kann das jemand in der EU?

Über die Fensterreden der türkischen Führung mag man zu Recht die Stirn runzeln: über die nun dauernd beschworene Solidarität mit den arabischen "Brüdern und Schwestern" ; oder die Genugtuung über das Ende der angeblich gemeinsam erlebten "Erniedrigung" durch den Westen. Doch die Wahrheit ist: Die Türkei hat mit ihrer demokratisch gewählten Regierung heute einen politischen Spielraum in den arabischen Krisenländern, den der Westen nicht hat.(Markus Bernath /DER STANDARD, Printausgabe, 29.3.2011)