Bei der Einordnung des Umbruchs in der arabischen Welt wie viele Autoren rasch bei 1989 landend, erinnerte der Nahost-Politologe Shlomo Avineri in der Neuen Zürcher soeben daran, dass die "allgemeine Demokratisierungswelle" damals neben Osteuropa auch Lateinamerika erfasste. Und der große britische Historiker Eric Hobsbawm (93) sagte dem Observer, dass er die Entwicklungen der lateinamerikanischen Politik nach wie vor genau verfolge.

Der Wiener Mandelbaum-Verlag hat ihr soeben einen Sammelband gewidmet, in dem ganz unterschiedliche Länder wie Bolivien und Brasilien beleuchtet werden. Bis vor kurzem habe das Wort "Demokratie" die Herrschaft von Nachfahren der Kolonisatoren und der von ihnen geschaffenen Oberschicht bedeutet, der "Senor Presidente" glich einem "spanischen Vizekönig" , heißt es in der Einleitung von Leo Gabriel, der den Band mit Herbert Berger herausgegeben hat. In der jüngsten Dekade sind aber, angetrieben von den früher als "Indios" oder "Campesinos" verachteten, zu neuem Selbstbewusstsein erwachten Urbewohnern Prozesse einer weiter gefassten Demokratisierung entstanden.

Das Buch bringt Beispiele aus Ecuador, wo eine neue, plurinationale Verfassung den Indigenen und deren kulturellen Werten besondere Bedeutung gibt. Sogar das kosmologische Prinzip vom "guten Leben" im Einklang mit der Natur steht in der Verfassung. Der steinige Weg zur praktischen Umsetzung wird am Beispiel Boliviens gezeigt. Aus der Großmacht Brasilien wird über das zarte Pflänzlein der Solidarökonomie berichtet, die dort neben der großangelegten Industrialisierung existiert. Noch ist die Dauerhaftigkeit von Entwicklungen, wie sie etwa in Venezuela stattfinden, nicht gesichert. Die Forderung nach demokratischer Teilhabe wird aber, wie auf der "arabischen Straße", bleiben. (Erhard Stackl/DER STANDARD, Printausgabe, 29.3.2011)