Wien - Als am 26. April 1986 der Reaktorblock 4 im Atomkraftwerk Tschernobyl explodierte, wurden ungeheure Mengen an radioaktiven Stoffen freigesetzt - vor allem Cäsium 137, Strontium 90, Jod 131 und Plutonium 239. Obwohl von den 190 Tonnen Brennstoff lediglich ein bis zwei Prozent in die Atmosphäre geschleudert wurden, hatte die Katastrophe enorme Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen in halb Europa - auch in Österreich. Denn der menschliche Organismus ist auf radioaktive Stoffe nicht vorbereitet, er erkennt sie einfach nicht.

Radioaktives Jod etwa hat mit 8,4 Tagen eine vergleichsweise geringe Halbwertszeit. "Der Haken daran ist, dass es der Körper nicht von normalem Jod unterscheiden kann und einlagert", erklärt Reinhard Uhrig, Atomexperte von Global 2000. Da man für gewöhnlich zehn Halbwertszeiten warten muss, bis ein Stoff als unbedenklich einzustufen ist, dauert es also 84 Tage, die das radioaktive Jod Zeit hat, in der Schilddrüse nachhaltigen Schaden anzurichten. "Darum werden in solchen Fällen Jod-Tabletten eingenommen, damit die Schilddrüse 'voll' ist. Gesund ist das aber nicht, es ist halt eine Notmaßnahme", so Uhrig.

Langzeitproblem Cäsium, Strontium und Plutonium

Auch mit Cäsium gibt es ein Problem: Für den menschlichen Körper ist der strahlende Stoff nämlich schlicht und einfach Kalium. Und dieses wird in den Muskeln eingelagert. "Das gilt natürlich auch für die Tierwelt", warnt Uhrig. Soll heißen: Mit dem Verzehr von kontaminiertem Fleisch steigt die Krebsgefahr ebenfalls. Raubfische in stehenden Gewässern oder Wildschweine, die im Winter tief im Boden versteckte und damit hochgradig belastete Pilze ausgraben, seien davon besonders betroffen. Bei einer Halbwertszeit von 30,1 Jahren tritt eine Unbedenklichkeit also erst nach 301 Jahren ein.

Als "Kalzium-Tauscher" gilt Strontium. Der Körper unterscheidet es nicht von dem harmlosen Erdalkalimetall. "Es wird in Zähnen und im Knochenmark eingelagert, was die Krebsgefahr natürlich drastisch erhöht", erklärt der Atomexperte. Die Halbwertszeit von Strontium beträgt 28,5 Jahre.

Die wahre "Zeitbombe" ist hingegen Plutonium. In Tschernobyl hat die Explosion das hochgiftige Material auf ein Waldstück "gespuckt", das sich dadurch rot färbte. Uhrig: "Dieses Gebiet ist bei einer Halbwertszeit von 24.100 Jahren für die nächsten 241.000 Jahre verloren - zum Vergleich: die Steinzeit war vor 10.000 Jahren, die Pyramiden sind vor rund 4.000 Jahren gebaut worden." (APA)