Cartoon: Schopf

Eine Reform der Gerichtsstandsverordnung der EU soll solche Torpedoklagen verhindern.

Der Rechtsschutz in Österreich ist weder besser noch schlechter als jener in Deutschland, das Urteil eines italienischen Gerichts ist in keiner Weise besser oder schlechter als eine französische, belgische oder spanische Entscheidung. Das Vertrauen in die völlige Gleichwertigkeit des Rechtsschutzes in allen EU-Mitgliedstaaten ist einer der elementaren Grundsätze des europäischen Rechts. So weit die Theorie – dass es in der Praxis sehr wohl fundamentale Unterschiede gibt, zeigen häufig eingebrachte "Torpedoklagen".

Mit der Torpedoklage kommt ein Schuldner, der Zeit gewinnen will, einer erwarteten Klage seines Gläubigers insofern zuvor, als er bei einem unzuständigen Gericht eine negative Feststellungsklage einbringt, mit der er das Bestehen seiner Leistungspflicht bestreitet. Eine derartige Torpedoklage bewirkt aufgrund des derzeit geltenden Prioritätsgrundsatzes, dass ein später vom Gläubiger in derselben Sache angerufenes Gericht das Verfahren so lange auszusetzen hat, bis das zuerst angerufene Gericht rechtskräftig über seine Zu- oder Unzuständigkeit entschieden hat.

Bis zur Unzuständigkeitsentscheidung wird das eigentlich angestrebte Verfahren blockiert. Diese Blockade dauert umso länger, wenn die Torpedoklage bei einem Gericht eines Mitgliedstaats eingebracht wird, das nicht gerade für zügige Verfahren bekannt ist. Nutzt der (Torpedo-)Kläger dann auch noch den vollen Instanzenzug aus, können bis zum Ausspruch der Unzuständigkeit leicht mehrere Jahre verstreichen. In der eigentlichen Sache selbst wurde bis dahin noch keine einzige Minute verhandelt. Das tatsächlich zuständige Gericht wird so jahrelang blockiert.

Wer es darauf anlegt, kann so, gerade im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr, über Jahre hinweg inhaltliche Entscheidungen verhindern, indem er rechtzeitig selbst vor Gericht zieht.

Diese in der Praxis durchaus häufig zu beobachtende Verschleppungstaktik ist mittlerweile auch der EU-Kommission ein Dorn im Auge. Dementsprechend sieht ihr aktueller Entwurf zur Reform der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsvorordnung (EuGVVO) nun auch eine entscheidende Änderung vor.

Haben sich zwei Unternehmer in ihrer Geschäftsbeziehung per Gerichtsstandsvereinbarung auf die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats geeinigt, so soll künftig in einem Rechtsstreit zuallererst das in dieser Gerichtsstandsvereinbarung genannte Gericht über seine Zuständigkeit entscheiden. Dies selbst dann, wenn es sich dabei nicht um das zuerst angerufene Gericht handelt. Alle bereits zuvor – etwa auch mittels Torpedoklage – angerufenen anderen Gerichte wären für die Streitigkeit dann so lange unzuständig, bis sich das in der Vereinbarung genannte Gericht für unzuständig erklärt hat. Damit könnte der Torpedoklage zumindest in diesem Bereich effektiv der Boden entzogen werden. Für den grenzüberschreitend tätigen Unternehmer sollte dies künftig ein Anreiz mehr sein, auf klare Gerichtsstandsvereinbarungen Wert zu legen.

Nur sechs Monate Zeit

Aber auch für den Fall des Fehlens einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung sieht der Reformvorschlag eine Verbesserung für den rechtstreuen Vertragspartner vor. So soll bei einer mehrfachen Gerichtsanhängigkeit zwar wie bisher das zuerst angerufene Gericht eine Zuständigkeitsentscheidung treffen, diese Entscheidung soll aber künftig innerhalb von sechs Monaten fallen.

Leider bleibt der Vorschlag auf halbem Wege stehen, da sich die Kommission nicht dazu durchringen konnte, Sanktionen vorzusehen, falls die Sechsmonatsfrist überschritten wird. Wie so oft wird es letztlich am Europäischen Gerichtshof liegen, hier für Klarheit zu sorgen. Man muss kein großer Skeptiker sein, um zu bezweifeln, dass sich bis dahin in der Praxis Entscheidendes ändern wird. (Stefan Albiez, Christoph Oswald, DER STANDARD, Printausgabe, 30.3.2011)