Robert Misik hat unlängst dieser Stelle gefordert, aus der energiepolitischen "Logik der Abwägung" - zwischen atomarer Pest und fossiler Cholera - auszubrechen. Das ist dringend notwendig, erfordert aber mehr als Technik und Sparsamkeit.

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Robert Misik beschreibt in seinem Beitrag über "Fukushima und die Logik der Abwägung" (18. 3.) gleichsam eine Wahl zwischen Pest und Cholera, wenn er auf die Alternativen Fossilenergie und Atomkraft eingeht. Ja: Wir scheinen abwägen zu müssen zwischen den tausenden Opfern des Kohlebergbaus und Klimawandels auf der einen und dem atomaren "Restrisiko" und ungelösten Endlagerproblemen auf der anderen Seite. Er zeigt die Grenzen dieser Wahl und fordert, aus der Abwägungslogik auszubrechen. Für einen linken Theoretiker von seiner Reputation kommt er dann allerdings zu einem eher überraschenden - weil banalen - Schluss: Wir müssten mehr Energie sparen. Ja, das müssen wir wohl. Aber, mit Verlaub - damit allein wird sich's nicht ausgehen.

Dass Technik nicht reicht, deutet Misik nur an. Was es brauche, sei (mehr) Demokratie. Das, was nötig sei (vor allem eben Effizienz und Energiesparen), können weder der Markt erledigen noch geniale Tüftler oder Energiemultis. Nein: "Dafür braucht es den konzentrierten Willen ganzer Gesellschaften." Recht hat der Mann. Und weiter: "Solange wir das aber nicht angehen, können wir höchstens wählen, welche Katastrophen wir vorziehen" - solche wie in Fukushima oder halt andere Desaster. Also brauche es gesellschaftliche Energie, die sich für Windräder und Speicherkraftwerke und so weiter einsetze, damit unser Lebensstandard gehalten werden kann.

Die Sache ist leider komplizierter. Denn auch die von Misik ins Feld geführten Technikpfade sind mit dem Problem des "Rebound" konfrontiert: Solange Effizienzsteigerungen nicht zu einer Absenkung des Gesamtverbrauchs führen, ist wenig gewonnen. Der Ökonom Stanley Jevons hat schon 1865 darauf hingewiesen, dass effizientere Technik paradoxerweise zu einer Erhöhung des Verbrauchs führen kann. Empirische Studien zeigen, dass dieses "Jevons-Paradox" in der Tat ein Problem ist. Wer Energie spart, spart auch Geld - und das kann dann sehr energieintensiv ausgegeben werden.

Über diese bekannte Problematik hinaus gilt es, Grundsätzliches in Frage zu stellen. Ein Begriff wie "Risiko" beispielsweise impliziert eben nicht nur die Akzeptanz negativer Folgen - viel wichtiger ist, dass "Risiko" heißt, diese Folgen auch kalkulieren zu können. Bei globalen Umweltproblemen haben wir es aber mit fundamentalem Nichtwissen zu tun. Das heißt, dass wir gar nicht abschätzen können, worauf wir uns einlassen. Anders gesagt: Wir können nicht wirklich abwägen, weil wir nicht wissen, was die Alternativen sind. Auch deshalb ist es klug, technischen Lösungen gegenüber skeptisch zu sein.

Ein Zugang, der Vermutungen über technische Möglichkeiten zur Lösung von Umweltproblemen zur Basis politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen macht, erscheint wenig zukunftsfähig. Deshalb ist gesunde Skepsis eine gute Ergänzung zur Technikbegeisterung. Wenn man mit dieser Skepsis recht hat und danach handelt, erspart man sich vermutlich manche Katastrophe. Wenn nicht - wenn uns also Technik zum Guten überrascht (wie sie das schon oft getan hat): umso besser.

Misik verwendet einen weiteren Schlüsselbegriff: "Lebensstandard". Dass der gehalten werden muss, scheint eine unhinterfragbare Behauptung zu sein. Das wird der Realität aber nicht gerecht. Denn das westliche Wohlstandsmodell ist derzeit in seinen Grundstrukturen so ausgerichtet, dass es mit einer akzeptablen Energieversorgung oder gar einer weltweit "nachhaltigen" Entwicklung nicht kompatibel ist.

Ich plädiere nicht für eine Absenkung "unseres" Lebensstandards. Aber es scheint notwendig, nach den Faktoren zu fragen, die diesen bestimmen. Und, vielleicht noch wichtiger: Lebensstandard ist eben ein Standard, eine Norm, eine Form der Normalität. Was ein gutes Leben und was notwendig ist, hängt (zumindest ab einem bestimmten Versorgungsniveau) also von Kriterien der Normalität ab. Wenn wir globale Umwelt- und Energiefragen beantworten wollen, müssen wir hier "ran". Die Debatte über "nachhaltige Entwicklung" ist voll von (meist impliziten) Bezügen zu einer vermeintlichen Normalität. Diese gilt es zu problematisieren, wenn man in einer endlichen Welt nachhaltig leben und wirtschaften will.

Darauf die gesellschaftliche Energie zu konzentrieren, von der Misik spricht, wäre ein lohnendes Projekt. Wenn wir aus der Logik der Abwägung ausbrechen wollen, müssen wir Ideen davon entwickeln, wie es anders gehen kann. Wirklich wirklich anders. Solange wir nur auf Technologie und Sparsamkeit setzen, wird eine menschen- und umweltverträgliche Energieversorgung Utopie bleiben.

Natürlich brauchen wir Innovationen, gute Technik und jede Menge Ideen, wie man Energie produktiver nutzt. Der Bedarf an Energie wird aber nachhaltig nur dann zu senken sein, wenn wir über die kulturelle Dimension des Themas nachdenken und darüber, wie ein gutes Leben gelingen kann - und welche Kriterien überhaupt bestimmen, was "gut" ist. Diese Güte hat gewiss nicht nur mit Begriffen wie Wachstum, Innovation und Sparsamkeit zu tun, sondern auch mit Qualität, Exnovation und Großzügigkeit. (Fred Luks, DER STANDARD, Printausgabe, 30.3.2011)