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Was kann ein ÖFB-Team mit so viel Potential von der Bank an Hilfe erwarten?

Foto: APA/Jäger

Beim ÖFB waren sichtlich die Hosen voll. Nach dem schlechten Spiel gegen Kasachstan, dem unberauschenden gegen Aserbaidschan, dem chaotisch-euphorisierenden in Belgien und dem zu schwachen daheim gegen die Belgier, musste diesmal Reaktion gezeigt werden. Eine Niederlage? Damit musste gerechnet werden. Aber eine hohe hätte die Aufrechterhaltung der "Kontinuität", die Präsident Leo Windtner gleich nach dem Spiel beschwor, schon ziemlich schwierig gemacht.

Die türkische Furie hatte seit furchterregenden vier Spielen kein Tor mehr erzielt. Dietmar Constantini hat vielleicht in die Statistik geblickt und erkannt: Die Chance, dass der Türkei das ein fünftes Mal passiert, sprach gegen Österreich. Mit der einzigen Viererkette, die angesichts der einberufenen Spieler zu erwarten war und drei defensiven Mittelfeldlern nur wenig weiter vorne, sollte das Heimteam in Istanbul gezähmt werden. 

Es gab erschwerende Umstände für einen mutigen Auftritt, das muss man schon sagen. Mit den verletzten Junuzovic, dem halbkranken Arnautovic und dem ohnehin abwesenden Kavlak dünnte die kreative Offensive weiter aus. Harnik und Alaba ergänzten gegen den Ball die Fünferkette im Mittelfeld, ansonsten sollten sie die offensiven Flügel im 4-3-2-1 mimen. Ganz vorn stand der nach Jankos Ausfall verbliebene Turm und streckte die Zinnen nach angeflogenen Bällen aus.

Der Kopf der guten Hoffnung

Man kann sich die Taktikbesprechung von Dietmar Constantini lebhaft vorstellen: "Kämpfen", hat er sicherlich verlangt. Und "Dichtmachen". Das wäre verständlich. Ein Gegner der so lange nicht getroffen hat, könnte unruhig werden. Aber wie wollte man selbst vorne etwas treffen? Vielleicht sagte der Tiroler seiner Mannschaft: "Schießt's dem Stefan auf den Kopf"? Man weiß es nicht. Mehr war vom österreichischen Team jedenfalls nicht zu sehen.

Doch rund um den Langen war niemand, der die Ableger aufnehmen konnte, und auf seine technische Überlegenheit darf man kaum setzen. Nach dem Ausschlussprinzip blebt das Konzept Zufall übrig, das bemüht werden sollte. Irgendwann würde der schnelle Harnik schon mal durchkommen, irgendwie würde sich für Alaba schon ein Schuss ausgehen. Beides geschah tatsächlich in einer einzelnen Aktion, doch die wurde in Minute 23 nicht von Erfolg gekrönt.

Motiviertes Heimteam

Anders die Türkei, die von Beginn weg nicht nach Krisenmannschaft aussah und alles nach vorn warf, was nicht hinten festgenagelt war. Besonders das Flügelspiel - eine vom ÖFB abermals verschmähte Kunst - sollte der eng stehenden, österreichischen Hintermannschaft immer wieder zu schaffen machen. Die anfliegenden Außenverteidiger hatten ja auch nichts, was sie zaudern ließ - in ihrem Hinterland stand ja bloß ein Spieler, mit dem würden die Innenverteidiger und der davor platzierte Selcuk Inan (der Eröffner und Stellunghalter im sehr beweglichen 4-2-3-1 der Gastgeber) schon irgendwie fertig werden.

Überlegenheit gewann man damit, aber erfolgreich im Tor-Sinn war dieses Spiel nicht, weil die Innenverteidigung Pogatetz-Dragovic ihre Sache abermals nicht übel machte. Aber es ließ Eckballserien (die oft schlecht verteidigt wurden) entstehen. 5:0 stand es in dieser Statistik schon nach 10 Minuten. Auch hier kein Tor: Aber all das setzte die Österreicher unter Druck - und unter Druck knickt man normalerweise früher oder später ein. 

Wie man Österreich entschärft

Mit hohem Pressing wurden den Österreichern auch keine Pausen gegönnt. Was Belgiens Coach Leekens weiß, ist natürlich auch Guus Hiddink nicht fremd. Österreich darf man keine Zeit im defensiven Mittelfeld geben. Wer dort früh attackiert, erspart der Hintermannschaft viel Laufarbeit. Baumgartlinger, Pehlivan und Scharner wurde keine Zeit gelassen. Abermals ergab das eine hohe Fehl- und Rückpassquote auf Österreichs Seite, bis irgendwann der sinnlose lange Ball auf Maierhofer versucht wurde. 

Nach nicht ganz einer halben Stunde schien Österreich - nicht ohne Glück, aber auch nicht ohne Können - das Schlimmste überstanden zu haben. Die Türken wurden etwas ruhiger. Doch mit einem Stellungsfehler erleichterte man den Türken das Spiel. Bei einem Einwurf konnte Dag dem bis dato auffälligsten Spieler, Arda Turan, nicht folgen. Auch Dragovic stand zu weit in der Mitte. Turan bekam den Ball, zog zur Mitte, ließ Macho keine Chance und stellte auf 1:0.

Das Ende der Fahnenstange

Österreichs Strategie war damit leider aber doch verdientermaßen durch den Wind. Und da die Türken nun das unnötige Risiko reduzierten und den Österreichern erst nach 46 Minuten eine zweite Chance (Flanke Fuchs, schwieriger Kopfball Maierhofer) gelang, war damit auch die erste Hälfte im Prinzip vorbei.

Schon in der Pause reagierte Constantini diesmal. Er brachte Jimmy Hoffer für Julian Baumgartlinger, den Offensivsten der drei Mittelfeldspieler. Es war nun das spröde 4-4-2 mit zwei defensiv orientierten in der Mitte, das Constantini fast immer im Rückstand einsetzt. Angesichts dessen ist es immer noch erstaunlich unabgestimmt.

Immerhin: Endlich hatte Maierhofer ein Ziel, das er nach all den hohen Bällen anvisieren konnte. Dass er es selten traf und Hoffer auch gut gedeckt wurde, ist eben das Problem an der Geschichte. Der zweite unschöne Nebeneffekt war, dass nun auch die zahlenmäßige Ausgeglichenheit im Mittelfeld Vergangenheit war. Sahin und Inan waren nun neben Ekici umso schneller an Pehlivan und Scharner dran. Weiterhin gelang es niemandem den Ball zu halten. Als sich dann Pehlivan nach einer Stunde verletzte und Platz für Korkmaz machen musste, rutschte Alaba zwar zur Mitte, das System änderte sich aber nicht.

Mut der Verzweiflung

Die Österreicher begannen nun immer früher zu attackieren. Aber auch dieser Devise fehlte jegliches Gesamtkonzept. Es fehlte ein kompaktes, abgestimmtes und zielgerichtetes Pressing. Deshalb gelangen den Türken nach wie vor ewig lange Passfolgen. Zu groß blieb der Raum zwischen den Stürmern und dem Mittelfeld, auch wenn sich die ÖFB-Kicker allesamt die Seele aus dem Leib rannten und damit zumindest ein wenig mehr Ballbesitz in der Gegnerhälfte erreichten - das Rezept gab nichts her, was darüber hinaus ging.

Als sich also auch in dieser Idee keine Hoffnung zeigte, setzte Constantini seinen letzten Joker ein. Marko Arnautovic - der Unabschätzbare - kam für Martin Harnik. Der Trainer setzte also nicht auf mehr systematische Offensive, reagierte nicht auf Stärken oder Schwächen des Gegners oder der eigenen Mannschaft, sondern opferte zugunsten des Prinzips Zufall und Hoffnung das System. Vielleicht würde ja diesem Arnautovic - offensichtlich mit allen Freiheiten und ohne jede konkrete Anweisung oder Aufgaben ausgestattet-  der magische Moment gelingen. Der Bremen-Stürmer rannte enorm viel und bewies nach der Kritik der vergangenen Tage seinen Willen, aber es war auch für ihn eine Länderspielwoche zum Vergessen.

Hiddinks Idee geht auf

Dass den Türken in der 77. Minute beim 2:0 durch den aufgerückten Außenverteidiger Gökhan doch noch das taktisch vorgegebene Flügelspiel aufging, rundete den Abend ab. Zwar hätte das von Maierhofer vergebene Elfmetergeschenk in der 84. Minute noch etwas auslösen können - nämlich den erhofften zufälligen Chaos-Moment des Fußballs - die Türkei war aber in jedem Fall der verdiente Sieger. Mit einer vor allem anfangs engagierten und später konzentrierten Vorstellung, welche die Schwächen und Stärken der Gäste genau adressierte, brachten sie sich zurück in die EM-Qualifikation.

Es fehlte bei Österreich nicht der Wille oder Einsatz - der Ansicht dieses Autors auch gegen Belgien nicht. Und für die konkreten Fehler, die zu den Gegentoren führten, kann man den Trainer diesmal auch nicht verantwortlich machen. Aber weil Fehler nunmal fast immer passieren, muss man ein Konzept für den Sieg, für das Aufholen zum Remis oder wenigstens zum Erzielen eines einzelnen Tores parat haben. Als Konstante in der Ära Constantini fehlt dieses Konzept.

Neben dem spürbaren Mangel an Glauben in die eigene Mannschaft - was eng damit zusammenhängt, dass anscheinend auf jegliches Mikromanagement im Spielaufbau-Training verzichtet wird - bleiben wirksame Reaktionen auf den Spielverlauf aus. Immer wieder wird ein zweiter Stürmer auf den Platz gestellt und darauf gehofft, dass irgendjemand nach einem hohen Ball ein glückliches Tor reinnudelt (oder eine Standardsituation Aufgrund der Kopfballstärke einzelner Spieler zum Erfolg führt).

Welche positiven Impulse ein Team mit so viel Potential von dieser Trainerbank bekommt, ist auch nach zwei Jahren in der Ära Dietmar Constantini nicht wirklich klar. Ob Kontinuität in dieser Form eine Qualität ist, auf die es sich zu setzen lohnt, sollte sich auch Herr Windtner fragen. (tsc, derStandard.at, 30.3.2011)