Vor 25 Jahren, im Februar 1986, wurde der damalige schwedische Ministerpräsident Olof Palme auf offener Straße in Stockholm ermordet. Nun wird bei Jubiläen - wie der Name schon sagt - viel gejubelt, viel verklärt. Auch in Buchform: „Niemand kommt um Olof Palme herum" heißt etwa eine Biographie von Göran Greider. Dort heißt es sinngemäß, dass Palme in den entscheidenden Momenten das Grundsätzliche über das Pragmatische gestellt habe, sich innenpolitisch und auch auf internationaler Ebene für die Rechte der Schwachen eingesetzt habe. Solche Politiker gibt es in der heutigen Zeit viel zu selten.

In diesem einen Satz über Olof Palme ist zusammengefasst, was in der Politik momentan im Argen liegt. Wir werden von Pragmatikern regiert, deren Denken bis zum nächsten Wahltag, der nächsten Parteisitzung, der nächsten Boulevard-Titelseite reicht.

Wir gemeinen Österreicher erdulden diese Pragmatik schon länger. Neu ist, dass dieser Pragmatismus auch in Deutschland regiert. Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs war immer die Prämisse der deutschen Außenpolitik, gemeinsam mit den Verbündeten im Westen (vor allem mit Frankreich und den USA) eine stabile Achse zu bilden. Von diesem Kurs kehrten Merkel und Westerwelle mit ihrer Enthaltung im UN-Sicherheitsrat in der Libyen-Frage ab.

Der Preis, den die beiden zahlen, ist hoch: Sie verärgern wichtige Bündnispartner, opfern die deutsche Verlässlichkeit. Im Gegenzug bekommen sie aber nichts dafür. Merkel ist trotzdem eine Verliererin der jüngsten deutschen Landtagswahlen, an Westerwelles Sessel als Parteichef wird trotzdem gesägt.

Zwei Fragen müssen einander die Regierungen im arabischen Frühling (nicht nur dort, aber dort ist es momentan am Dringlichsten) stellen: Soll der Westen helfen, wenn ein Diktator Demonstranten niedermetzelt? Soll der Westen für Werte wie Freiheit, Gleichheit und Demokratie einstehen?

Beide Fragen mit Ja beantwortet hat Nicolas Sarkozy. Er hat die westliche Allianz in der Libyen-Frage zu einer militärischen Intervention gedrängt. Oft kann man dem französischen Präsidenten Großmannssucht nachsagen, in dieser Angelegenheit jedoch nicht. Aus welchem Mix an Gründen er gehandelt hat, lässt sich nicht beantworten. Auf jeden Fall sah er eine Pflicht darin, dem libyschen Volk beizustehen und ein Massaker zu verhindern.

Wir brauchen idealistische Politikerinnen und Politiker, die diese Werte vertreten, denn Pragmatiker haben wir zur Genüge. Wir brauchen Politiker mit Visionen, die in den entscheidenden Momenten das Grundsätzliche über das Pragmatische stellen. Die im Fall von Libyen auch für ein militärisches Eingreifen stimmen, um Menschenleben zu schützen - obwohl sie selbst ein ungutes Gefühl dabei haben. Das kann man naiv nennen. Oder richtig. (flog, derStandard.at, 30.03.2011)