Allein gegen eine ganze Community: Ree (Jennifer Lawrence), die mutige jugendliche Heldin aus Debra Graniks "Winter's Bone". Ab Freitag im Kino.

Foto: Filmladen

Wien - Eine merkwürdige Liebeserklärung ist das, die da am Schluss des Films fällt: Ohne dieses Gewicht am Rücken würde ihr etwas fehlen. Ree sagt das zu ihren beiden jüngeren Geschwistern, für die sie schon seit geraumer Zeit sorgt. Die Mutter ist krank, sie spricht kein Wort, der Vater wird vermisst. Ree ist wohlgemerkt ein 17-jähriger Teenager. Sie sollte andere, ihrem Alter entsprechende Interessen haben. Wir erfahren nicht, wie sie zu ihrem Los steht, doch man kann es sehen: Jennifer Lawrence spielt Ree als verhärtete junge Frau mit durchdringendem Blick - einem, den man kaum erwidern kann.

US-Regisseurin Debra Granik, in liberalen Zirkeln der Ostküste aufgewachsen und ausgebildet, könnte das Milieu ihres Films selbst kaum fremder sein: Winter's Bone basiert auf einem Roman von Daniel Woodrell (unter dem Titel Winters Knochen auf Deutsch im Liebeskind-Verlag erschienen), der ins tiefe Innere des amerikanischen "heartland" führt - in die Backwoods der Ozark Mountains von Missouri. Eine sozial rückständige Gegend, die im Kino als Synonym für Hillbilly-Kultur steht - und dabei gerne ins Monströse verzerrt wird.

Schon dahingehend vollzieht Graniks in Sundance 2010 (und auf weiteren Festivals) preisgekrönter Film einen Kurswechsel. Hier geht es um keine äußeren Zuschreibungen, sondern um ein Drama, das sich auf das besondere Außenseitertum dieser Menschen einlässt. Die Genauigkeit in der Ausstattung - von den simplen Holzhütten über die abgetragenen Parkas und Holzfällerjacken bis zu den Eisenpfannen am Herd - verrät ein anthropologisches Interesse an Lebensumständen; die Inszenierung hievt die Figuren noch auf eine weitere, fast mythologische Ebene, bei der Drogen, Mord und prekäre Zusammengehörigkeiten eine zentrale Rolle spielen.

Ree muss ihren Vater finden, tot oder lebendig, sonst verliert sie das Haus, das dieser als Sicherheit für seine Freilassung auf Kaution benutzt hat. Aus diesem Dilemma heraus wird das Mädchen indirekt zur Aufdeckerin: Sie klopft an die Türen ihrer Nachbarn und erntet Misstrauen, und bald auch Drohungen. Zu viele Menschen dieser verarmten Region haben bereits mit der Produktion von Crystal Meth eine lukrative Alternative zur Landwirtschaft entdeckt. Und deren Verschlossenheit ist Garant dafür, dass vieles davon geheim bleiben wird.

Sog zum Thriller

Obgleich Ree nur ihr persönliches Anliegen vertritt, wird das eigensinnige, couragierte Mädchen so als Gefahr für die Gemeinschaft betrachtet. Granik vergegenwärtigt dies nicht nur auf plastische Weise, wenn sich Ree in einer Szene von einer Mob-ähnlichen Runde aus bierbäuchigen Männern und furienhaften Frauen in einer Scheune umstellt sieht. Es gelingt ihr auch, mit weniger konkreten Bildern (und der vielleicht eine Spur zu demonstrativen Musik von Dickon Hinchliffe) eine spannungsgeladene Atmosphäre zu erzeugen, die das Sozialdrama immer mehr in Richtung eines Thrillers treibt.

Doch so sehr in Winter's Bone die Gewalt in der Gesellschaft angelegt erscheint: Der Film ist reichhaltiger, weil er diese nur als Folge, nicht als Wurzel des Problems erkennt. In Szenen, die stärker auf Beschreibung ausgerichtet sind, zeichnet Granik dann auch das Bild einer durchaus lebendigen Kultur - zwischen Country-Schrammelmusik, Eichhörnchenjagd (und -verspeisung) und kleinen, fürsorglichen Gesten.  (Dominik Kamalzadeh/ DER STANDARD, Printausgabe, 31.3.2011)