Das Ende des Schuljahrs nähert sich langsam. Und jetzt schon ist klar, welches Kind ab September auf der Erfolgsschiene postiert sein wird und welches auf der Startbahn in die Bildungssackgasse. Entgegen dem, was die allgemeine Diskussion vorgibt, gilt das keineswegs nur für die Zehnjährigen und die alles entscheidende Frage: Gymnasium oder Hauptschule? In Wirklichkeit beginnt für viele, vor allem Wiener Kinder die verhängnisvolle Trennung schon im Kindergarten. Viele Bildungsexperten meinen deshalb, wer es mit Chancengleichheit ernst meint, müsse für eine gesunde Durchmischung des Schulsystems vom ersten Tag an sein.

Fünfzig Prozent Migrantenkinder, fünfzig Prozent Einheimische, das ist in etwa die Verteilung bei den Wiener Schulkindern. Das spiegelt sich aber keineswegs in den einzelnen Klassen wieder. Es gibt Volksschulklassen und Kindergartengruppen mit plus/ minus hundert und solche mit nur wenigen Prozent Kindern mit Deutschdefiziten. In der Schule, in der ich Migrantinnen in der deutschen Sprache unterrichte, wurde heuer ein Kind eingeschrieben, das nach drei Jahren Kindergarten kein Wort Deutsch konnte. Wie sollte es auch - in jenem Kindergarten sprechen die Kinder ausschließlich Türkisch. Da sind Schwierigkeiten programmiert. Wenn eine Schule oder ein Kindergarten einmal als "Ausländerghetto" stigmatisiert ist, tun einheimische Eltern alles, um für ihr Kind einen Platz anderswo zu finden.

Das ist nicht Rassismus und nicht Ausländerfeindschaft. Alle Eltern wollen für ihr Kind das Beste. Die meisten haben gar nichts dagegen, dass dieses Schulkameraden aus anderen Kulturen und anderen sozialen Schichten hat. Viele sagen sogar: Es ist gut, wenn mein Kind sieht, dass es nicht alle so gut haben wie wir. Und dass teure Urlaube und teure Markenkleidung keine Selbstverständlichkeiten sind. Aber wenn die gemeinsame Sprache unter den Kindern nicht Deutsch ist, dann schrillen die Alarmglocken.

Kinder lernen ihre Sprache nicht in erster Linie von den Lehrern, sondern von den anderen Kindern. Wo die Durchmischung stimmt - Österreicher, Türken, Serben, Afghanen, Polen, Araber -, sprechen die Migrantenkinder in der Regel nach einem Jahr gut deutsch. Wenn nicht, nicht.

Niemand will die freie Schulwahl aufheben. Und niemand plädiert dafür, Schulkinder mit dem Bus von einem Ende der Stadt zum anderen zu schicken. Aber es ist zumutbar, den Schulen einen Durchmischungsschlüssel abzuverlangen. Und zwar ausdrücklich auch den Privatschulen. Diese könnten dabei ruhig ihre Qualitätsstandards behalten und sich, wenn die Schule einen guten Ruf hat, die begabtesten Kinder heraussuchen. Das Potenzial unter den Zuwandererkindern ist groß. Wenn sie die Sprachbarriere einmal überwunden haben, gehören sie oft zu den Besten in der Klasse. Auch in Deutsch.

Gut, dass durch Pisa und Volksbegehren die Bildungsdiskussion in Österreich einmal angestoßen ist. Sie wird so bald nicht aufhören. Aber wenn wir keine Zwei-Klassen-Bildungsgesellschaft wollen, müssen wir für das Ende der Ghettoschulen sorgen. Und dafür offene Schulen bekommen, in denen kein Talent verlorengeht. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31.3.2011).