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Silvio Berlusconi, der Stein des Anstoßes: Die Opposition will verhindern, dass er ein Gesetz durchbringt, das die Verjährungsfristen in mehreren Korruptionsprozessen gegen ihn verringern würde.

Foto: EPA/ETTORE FERRARI

Flüchtlingswelle, Krieg in Libyen, Atomunfall in Japan - alles fast belanglos. Für Italiens Parlament gelten andere Prioritäten. Vor allem ein Anliegen genießt dort absolute Priorität: der Schutz von Premier Silvio Berlusconi vor seinen Richtern. Handstreichartig stellte das Mitte-rechts-Bündnis am Mittwoch die parlamentarische Tagesordnung der Abgeordnetenkammer auf den Kopf. Der neuen "Lex Berlusconi", die den Premier durch Reduzierung der Verjährungsfristen vor Verurteilung bewahren soll, wurde bevorzugte Behandlung eingeräumt.

Die Opposition reagierte postwendend mit wütenden Protesten und "Schande, Schande"-Sprechchören und rief zu einer Kundgebung vor dem Parlament auf. Als sich Verteidigungsminister Ignazio La Russa ("Ich fürchte mich nicht") den Demonstranten näherte, wurde er beschimpft und mit Münzen beworfen. Der Minister rastete aus und warf der Opposition "Volksverhetzung" vor. Den Präsidenten der Abgeordnetenkammer Gianfranco Fini, der ihn zur Mäßigung aufforderte, bedachte La Russa mit einem "Vaffanculo!" ("Geh sch...!") Fini brach daraufhin die Sitzung ab. La Russa entschuldigte sich später telefonisch für die Entgleisung.

Italien "am Abgrund"

Am Donnerstag glich der Plenarsaal erneut einem Tollhaus. Abgeordnete des regierenden Rechtsbündnisses warfen nach einer Abstimmungsniederlage zur Tagesordnung Gegenstände durch den Saal, Fini wurde ein Sitzungsprotokoll ins Gesicht geschleudert. "Italien", so der resignierte Kommentar des Corriere della Sera, "befindet sich am Rande des Abgrunds."

Nach mehreren Unterbrechungen wurde die Diskussion über das umstrittene Gesetz in aufgeheizter Atmosphäre fortgesetzt, mit einer Abstimmung noch am Donnerstag wurde allerdings wegen der hunderte Punkte umfassenden Tagesordnung nicht mehr gerechnet. Die "Lex Berlusconi" wäre bereits das 38. auf die persönlichen Bedürfnisse des Premiers zugeschnittene Gesetz.

Die geplante Halbierung der Verjährungsfristen könnte nur in erster Instanz auf Angeklagte ohne Vorstrafen angewandt werden. Bei rascher Genehmigung könnte das Gesetz bereits im April in Kraft treten und die für den Premier gefährlichsten Prozesse entschärfen: Im Verfahren um die Bestechung von David Mills lag nach der Haftstrafe für den britischen Anwalt auch eine Verurteilung Berlusconis nahe. Auch im Mediaset-Prozess - die Verjährung würde in zehn Monaten greifen - scheint ein rechtskräftiges Urteil nicht mehr möglich. Und im Verfahren um Steuerbetrug beim Verkauf von Filmrechten würde sich der Streitwert von 100 auf acht Millionen Euro reduzieren.

Der am 6. April beginnende Prozess im "Fall Ruby" wäre nicht betroffen. Am Dienstag will die von Berlusconi kontrollierte Abgeordnetenkammer daher per Mehrheitsbeschluss die Zuständigkeit der Mailänder Richter vor dem Verfassungsgericht anfechten und so den Prozess verschleppen.

Der italienische Richterbund kritisiert den aktuellen Gesetzesentwurf als "Tod der Justiz". Die Zahl der verjährten Gerichtsverfahren würde sich damit auf rund 300.000 pro Jahr erhöhen. (Gerhard Mumelter aus Rom, STANDARD-Printausgabe, 1.4.2011)