Zivilcourage trainieren? Trainer Ronny erklärt, worum es geht.

Foto: rwh/derStandard.at

Eine Aufgabenstellung für ein Rollenspiel.

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Die Mädchen tüfteln und überlegen.

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Gemeinsam wird besprochen, welche Strategien gewählt werden können, um auf Ereignisse zu reagieren.

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Wer nimmt welche Rolle ein?

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Zur Auflockerung ein Spiel: Haben auf drei Sesseln 14 Mädchen Platz?

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"Heute ist Araber-freier Tag, Oida! Dich lass ich nicht rein." Tamara spielt einen Türsteher, "sagen wir vom ‚Empire‘ (Diskothek im 1. Bezirk, Anm.)". Mit der Sonnenbrille auf der Nase ahmt die 17-jährige Schülerin die Coolness, die manche Securities an den Tag legen, nach. Sie lässt ihre Schulkollegin Slavia, die eine Araberin darstellt, nicht bei der Tür herein. An der Szene nehmen auch Becky und Sabi teil. Auch Becky zeigt kein Verständnis für Slavia, drängelt in die Discothek. Sabi hingegen versucht den Streit zu schlichten und zeigt Zivilcourage, indem sie den Türsteher darauf hinweist, dass auch Araber ein Recht haben sollten, in die Disco zu gehen. 

Zivilcourage, das ist es, was die Schülerinnen an jenem Tag trainieren sollen. Auch mit Hilfe von Rollenspielen, durch die veranschaulicht wird, wie man sich im Falle der Fälle verhalten soll. Zwei Trainer des Mauthauen-Komitees sind zu Besuch und bringen den Mädchen das Thema näher. "Wir sind durchschnittlich einmal pro Woche an einer Schule", sagt der 33-jährige Ronny, einer der beiden Trainer. Auf alle TrainerInnen aufgerechnet sind es mehrere Trainings pro Woche.

"Irgendwer wird sich schon drum kümmern"

Diesmal ist es die Fachschule für wirtschaftliche Berufe in Wien Meidling, wo die Trainer den Vormittag verbringen. Die Schülerinnen der 3C, einer reinen Mädchenklasse, kennen sich mit Zivilcourage schon ein wenig aus, mehrere Wochen lang haben sie im Unterricht das Thema durchgenommen. Ihr Deutschlehrer hat ihnen die Basics vermittelt, die Trainer vom Mauthausen-Komitee können nun auf diesem Wissen aufbauen. Es geht in erster Linie schon um das Wahrnehmen von Situationen, darum, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann es angebracht ist, sich einzumischen. Es soll auch vermittelt werden, warum es überhaupt notwendig ist, nicht immer nur wegzuschauen. "Man soll nicht nach dem Motto agieren: Hilft eh jemand, irgendwer wird sich schon drum kümmern", erklärt Ronny.

In weitere Folge werden auch Strategien besprochen, wie man einschreiten kann. Selbst Hand anlegen und zur Tat schreiten? Oder doch lieber die Polizei verständigen?

Tami - es ist die zweite Tamara in der Klasse - berichtet von einem Vorfall, der sich in ihrem Wohnhaus zugetragen hat. In der Nacht hörte sie ihre Nachbarin, eine alte Frau, um Hilfe rufen. Tami weckte ihre Mutter und zusammen riefen sie die Polizei. Der Vorfall ist glimpflich ausgegangen. Der Trainer fragt, was passiert wäre, hätte Tami die Hilferufe ignoriert: "Ich weiß es nicht, wahrscheinlich wäre sie gestorben. Sie ist von einem Sessel gestürzt und hat am Kopf ganz stark geblutet als sie gefunden wurde."

Bibi erzählt eine Geschichte, wo sie bzw. ihr Vater ohne polizeiliche Hilfe ausgekommen sind. Einer älteren Frau waren die Einkaufsackerln auf den Boden gefallen. Sie war zu schwach um sie wieder aufzuheben. Der Vater eilte zur Hilfe und trug die Einkäufe für die Dame nachhause.

Über den eigenen Schatten springen

Doch ist die von Bibi geschilderte Geschichte überhaupt noch Zivilcourage oder vielmehr schlichte Höflichkeit? Eigentlich zweiteres, erklärt Trainer Ronny. Denn im Wort Zivilcourage steckt Mut drinnen. Und die Sackerl zu tragen, verlange nicht so viel Mut ab, wie wenn man sich für jemand anderen einsetzt, der in einer vielleicht sogar lebensgefährlichen Situation ist, und dabei vielleicht auch ein wenig über den eigenen Schatten springt.

Nicht erst seit dem Vorfall in München - ein Mann mischte sich der S-Bahn in eine Rangelei ein und wurde daraufhin zu Tode geprügelt - ist das Thema Zivilcourage in aller Munde. Auch die Wiener Polizei hat die Brisanz des Themas erkannt und zeigt seit einigen Wochen Werbespots, die in diese Richtung gehen. So zeigt eines der Werbevideos etwa eine Szene, die sich in zwei benachbarten Wohnungen zuträgt. Bei einem Paar ist ein Streit entfacht und ein Nachbar zeigt Zivilcourage, indem er in die Wohnung stürmt, um der Frau zu helfen. Er kassiert dafür aber einen Schlag ins Gesicht. Glimpflicher endet die Darstellung, als er die Polizei verständigt.

Laut den Zivilcourage-TrainerInnen ist es aber nicht immer notwendig, die Polizei zu rufen. Man müsse oft selbst abwägen, welche Reaktion bzw. welche Maßnahmen angebracht sind.

"Jugendlichen fehlen die Vorbilder"

Die Videos der Polizei kennen auch viele der Schülerinnen der 3C. Ihnen macht der Tag mit den externen Trainern sichtlich Spaß. Auch Deutschlehrer Thomas Unterpirker ist mit dem Zivilcourage-Training sehr zufrieden. "Es ist gut, wenn darüber geredet wird. Den Jugendlichen fehlen oft die Vorbilder. In den Rollenspiele kann man üben, wie man sich verhält."

In wenigen Wochen haben die Schülerinnen ihre Abschlussprüfungen. Viele von ihnen wollen später Krankenschwester werden oder einen anderen sozialen Beruf ergreifen. Ein Mädchen will Polizistin werden, eine andere wiederum Musiklehrerin. An Zivilcourage sollte es den Mädchen jedenfalls nicht mehr mangeln, wohin es sie auch verschlagen wird. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 4.4.2011)