Bild nicht mehr verfügbar.

In London, wohin sich Libyens Außenminister Mussa Kussa abgesetzt hat, protestiert ein Gaddafi-Anhänger.

Foto: Reuters/Melville

Der libysche Überläufer Mussa Kussa hat mit seiner Flucht nach London einen Streit ausgelöst, wie man denn mit ehemaligen Regime-Befürwortern verfahren soll. Denn laut Opposition könnten es noch mehr werden.

*****

Neben Luftschlägen auf Militäreinrichtungen setzt London auch auf psychologische Kriegsführung gegen den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi.

Zwei Tage nach der Ankunft des früheren Geheimdienst-Chefs und libyschen Außenministers Mussa Kussa berichteten Londoner Medien von Kontakten zwischen der Regierung und einem engen Vertrauten des Diktatoren-Sohns Saif al-Islam.

Mohammed Ismail kennt London aus zahlreichen Besuchen, sein Auftraggeber Saif studierte jahrelang an der London School of Economics, von der er auch den Doktortitel verliehen bekam. Die renommierte Hochschule ließ sich von Saifs Gaddafi-Stiftung 1,8 Millionen Euro in Aussicht stellen, von denen rund 350.000 Euro zur Auszahlung kamen. Bei Ismails jüngsten Gesprächen mit der britischen Regierung dürfte es allerdings kaum um die Plagiatsvorwürfe gegen Dr. Gaddafi gegangen sein.

Ambitionen der Gaddafis

Vielmehr sei, so berichten BBC und Guardian übereinstimmend, über eine mögliche Exit-Strategie des Clans gesprochen worden. Angeblich soll Saifs Bruder Mutassim, der als nationaler Sicherheitsberater amtiert, mit einer Rolle als Übergangspräsident liebäugeln. In allen Kontakten mit dem Regime werde stets betont, "dass Gaddafi gehen muss" , heißt es im Foreign Office. Außenminister William Hague hatte noch vergangene Woche mit seinem damaligen Kollegen Kussa telefoniert; britische Geheimagenten dürften dem 62-Jährigen bei der Flucht via Tunesien geholfen haben.

In London wird jetzt darüber diskutiert, wie man mit dem bisher höchstrangigen Regime-Abtrünnigen verfahren solle. "Kussa genießt keine Immunität" , beteuert Premierminister David Cameron. Die schottische Polizei möchte Kussa gern zum Anschlag auf den PanAm-Jumbo über Lockerbie verhören, bei dem im Dezember 1988 270 Menschen ums Leben kamen. Auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt gegen die libyschen Spitzenfunktionäre - und Kussa sei schließlich als "Gesandter des Todes und Gaddafis oberster Fingernägelausreißer bekannt" , weiß der Historiker Michael Burleigh, der eine Kulturgeschichte des Terrorismus verfasst hat.

Hingegen plädiert Noman Benotman von der Londoner Quilliam Foundation - einem antiislamistischen Thinktank, der 2008 von ehemaligen Extremisten gegründet wurde - auf Milde für seinen Bekannten Kussa. Schließlich werde dessen Behandlung von anderen Regime-Zweiflern "genau beobachtet" . Sogar der konservative Telegraph pflichtet Benotman bei: In der Außenpolitik müsse man eben manchmal "das Notwendige, nicht unbedingt das Richtige tun" .

Oppositionsgruppen haben den Seitenwechsel mehrerer Funktionäre angekündigt. Nach Kussa seien auch der Vize-Außenminister, der Ölminister und ein Parlamentarier zur Flucht entschlossen. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 2.4.2011)