Wien - Die Menschenrechtsdeklaration der UNO gleichsam auf den Leib des Publikums zu schreiben, ist das Anliegen der neuenbuehnevillach, die seit Mittwoch in dietheater künstlerhaus mit ihrem Erlebnistheater-Projekt "amnesty" in Wien gastiert. Mithilfe der "Psychodrama"-Methode sollen die aktiv beteiligten ZuschauerInnen für das weltweite Problem der Folter sensibilisiert werden. Jeder entscheidet zu Beginn, ob er lieber als "Opfer" oder "TäterIn" mitmachen will. Klingt Furcht erregender, als es dann tatsächlich ist.

Der Eintritt erfolgt diesmal nicht nach Erhalt des Tickets, sondern nach Abgabe eines Fingerabdrucks. Schon im Vorraum begrüßt Spielleiter Michael Weger die auf den Einlass Wartenden, und erklärt die "Spielregeln". Dazu gehört, dass man etwaige Taschen, Armbanduhren und Ringe abgeben muss, "aus Sicherheitsgründen", wie Weger eindringlich sagt. Selbstverständlich gebe es keinerlei körperliche Gefahr, denn schließlich gelte ja das Übereinkommen, dass es sich um Theater handle. Trotzdem...

Mehr Frauen als Männer wählen die "Opferrolle"

Dann die Entscheidung jeder/s Teilnehmerin/s, ob sie/er lieber als "TäterIn" oder "Opfer" in das Konzentrationslager Makala geschickt werden möchte. Interessant ist, dass mehr Frauen als Männer die "Opferrolle" einnehmen. In der Folge müssen die "Opfer" in das Innere eines Käfigs gehen, während die TäterInnen auf Stühlen außerhalb Platz nehmen. Der Spielleiter beschreibt das zu imaginierende Ambiente. Jede/r muss jetzt durch ein lautes "ja" bestätigen, dass sie/er gemäß ihrer/seiner gewählten Rolle handeln wird. Ein "Opfer" im Käfig kann sich nicht dazu durchringen, und verlässt den Raum. Genauso geht es zwei "TäterInnen" - sie antworten mit "nein" und gehen auch.

"TäterIn" sein fällt schwer

Dann werden die Täterinnen dazu angehalten, sich mit den bereit liegenden Holzstücken "vertraut zu machen", in den Käfig zu gehen und den "Opfern" Befehle zu erteilen, selbstredend ohne körperliche Gewaltanwendung. Einige scheuen keinen Augenblick, schreien "ihr Opfer" an und lassen manche herumhüpfen oder sich hinlegen. Es sind natürlich unter das Publikum gemischte SchauspielerInnen, wie rasch klar wird. Alle anderen "TäterInnen" zögern. Sie haben die bei weitem schwierigere Rolle als die "Opfer".

Nach einigen unangenehmen Minuten beendet der Spielleiter die Aktion, bittet alle in die Mitte des Käfigs, ganz nah zusammen. Die Deklaration der UNO-Menchenrechte ertönt vom Band: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren". Nach dem "hardcore" beschwört Weger die menschliche Nähe und Wärme, was ein bisschen übertrieben anmutet, vielleicht so wie nach einer hochexplosiven Gruppensitzung. Ein Moment der Stille wird angesagt, in dem man mit geschlossenen Augen mental bei den Menschen verweilen möge, die gerade jetzt irgendwo auf der Welt unermesslichen Folterqualen ausgesetzt sind. Dieser fast magische Moment erfährt leider durch moralisierende Reden Wegers Dämpfung. Man muss nicht ins Theater gehen, um zu hören, dass Diskriminierung schon damit beginnt, böse über die Nachbarin zu denken, oder dergleichen.

Feedback-Runde

Ähnlich wie beim therapeutisch angewendeten Psychodrama gibt es nach einer kurzen Pause die "Feedback-Runde". Alle sitzen auf Stühlen im Kreis und berichten über ihre Erfahrung. Die Dynamik ist dabei eher zäh, und rasch berichten die anwesenden Mitglieder von Amnesty International zum Glück über ihre Arbeit, anstatt die "Opfer" und "TäterInnen" über ihre Psycho-Erlebnisse. Am Ende holt man seine Sachen ab, die abzugeben mehr ein nicht wirklich notwendiges "Showelement" war. Dann zahlt man "Austritt" nach Gutdünken, und spendet hoffentlich für die Menschrechtsorganisation.

Keine Grenzerfahrung

Zurück bleibt von diesem Abend der Eindruck, dass für eine sehr gute Sache viel Lärm um nicht viel gemacht wurde. Die so genannte "Grenzerfahrung" musste ausbleiben, denn wie will man in einer elitären, künstlichen Situation tatsächlich ermessen, wie sich das unfassbare Leid anfühlt, das Menschen wirklich erleben, oder auch die Perversion von Macht? Zudem sollte es dieser mimetischen Erfahrung eigentlich nicht bedürfen, um die politische Dimension der Folter zu begreifen. Aber wenigstens bringt es die langjährige Arbeit dieser unentbehrlichen NGO wieder ins Bewusstsein, und allein dafür ist jedes Mittel in Ordnung. (APA)