Wien - SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer hat am Donnerstag der Bundesregierung und insbesondere der ÖVP ein "autokratisches Politikverständnis" vorgeworfen, das in der Demokratie nichts zu suchen habe. Die Menschen würden nicht als Bürger, sondern als Untertanen betrachtet. Die Politik sei gekennzeichnet von "Verachtung" gegenüber allen Kritikern, gegenüber demokratischen Gepflogenheiten und gegenüber der betroffenen Bevölkerung, sagte Gusenbauer in einer Veranstaltung anlässlich des 48. Jahrestages der Unterzeichnung des Staatsvertrages, die bewusst als Kontrapunkt zur Rede zur Lage der Nation von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gesetzt wurde.

"Dialog mit Österreich"

Die SPÖ setze im Gegensatz dazu auf Veränderungen gemeinsam mit den Betroffenen und auf einen breiten Konsens. In diesem Sinne wolle sie einen "Dialog mit Österreich" führen. Das setze voraus, dass man auch kritische Stellungnahmen und alternative Ansichten aufnehme. Die SPÖ wolle die politische Auseinandersetzung wieder zu einem "konstruktiven Wettbewerb der Ideen" machen. Auch wenn es unwahrscheinlich sei, dass sich die Bundesregierung von ihrem "autokratischen Politikverständnis" verabschiede, werde die SPÖ den Dialog auf allen Ebenen führen. Der Jahrestag der Unterzeichnung des Staatsvertrages sei ein guter Anlass, Österreich zu einer "Stätte des Dialoges" zu machen. Das sei die Aufgabe der SPÖ.

"Große Zweifel" hat Gusenbauer, ob die ÖVP den "runden Tisch" zur Pensionsreform heute Nachmittag "wirklich ernst nimmt". Das wäre schade, weil dies eine Möglichkeit wäre, zu einer breit getragenen Lösung zu kommen. Jede andere Regierung dieser Welt würde das Angebot der Sozialpartner, bis 30. September einen gemeinsamen Lösungsvorschlag zu erarbeiten, "mit Freude aufnehmen".

"Vertretbares Innehalten"

Diese dreimonatige Verzögerung wäre für Gusenbauer ein "vertretbares Innehalten". Es mache keinen Unterschied, ob das Gesetz am 4. Juni oder am 4. November 2003 beschlossen wird. Alle, die etwa 2025 in Pension gehen, würden sich über die jetzige Diskussion dann nur an den Kopf greifen. "Es geht nicht um den Zeitpunkt, es geht um die Qualität."

Gusenbauer warf in seiner knapp einstündigen Rede in einer Fachhochschule in der Nähe des Wiener Praters der ÖVP vor, Selbstbewusstsein mit Überheblichkeit zu verwechseln. Sie verweigere das Gespräch mit den Sozialpartner, eine ordentliche parlamentarische Behandlung der Pensionsreform und eine differenzierte Debatte in der Öffentlichkeit.

Regierung geht es nur ums "Durchboxen"

Gusenbauer betonte, dass "ein Schub an Erneuerung" notwendig sei. Keine Partei bestreite die Notwendigkeit einer Pensionsreform und die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sei ebenfalls dafür. Auch Abstriche würden akzeptiert. Die Bundesregierung missbrauche aber diese Reformbereitschaft. Es gehe ihr nur ums "Durchboxen", sie wolle "lieber eine rasche Entscheidung als eine gute Entscheidung".

Der SPÖ-Chef betonte, dass nicht die Gewerkschaften, sondern der Bundeskanzler und die Bundesregierung den sozialen Frieden gefährdeten. Dass sie ihre "Ungerechtigkeiten durchpeitschen" wollten, sei die Wurzel der Sorgen der Menschen und der Grund für die Proteste.

"Kalter Schauer"

In der Gesundheitspolitik sind für Gusenbauer die von der Regierung geplanten Selbstbehalte "der falsche Weg". Das in diesem Zusammenhang gebrauchte Argument der Lenkungseffekte jagt dem SPÖ-Chef "einen kalten Schauer" über den Rücken. Das bedeute nämlich, dass Menschen motiviert werden sollen, nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus zu gehen. Gusenbauers Alternative sind vereinheitlichte und sozial gerechte Beiträge sowie eine Senkung der Medikamentenkosten.

Die Abfangjäger dienen nach Ansicht Gusenbauers der Sicherheit nur in sehr geringem Maße. Jedenfalls stehe diese Sicherheit in keiner Relation zu den Kosten der Anschaffung. Wichtiger für die Sicherheit wären jedenfalls internationale Kooperationen sowie die soziale Sicherheit. Gegen Innenminister Ernst Strasser (V) erhob Gusenbauer den Vorwurf, vorwiegend mit der politischen Einfärbung seines Ressorts beschäftigt zu sein, deshalb sinke die Aufklärungsquote in der Kriminalität.

In der Bildungspolitik forderte der SPÖ-Chef, dass künftig jede zweite Schule in Österreich als Ganztagsschule geführt wird. Das würde zu mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit führen. Derzeit verschärfe das Schulsystem die sozialen Ungleichheiten, weil sich die Nachmittagsbetreuung der Kinder nicht alle leisten könnten.

"Fahrlässig"

Den Privatisierungskurs der Bundesregierung lehnt Gusenbauer entschieden ab. Die Voest in Linz als profitabelstes Stahlunternehmen in ganz Europa aus Gründen der Budgetkosmetik und zum Löcherstopfen zu verkaufen, sei "fahrlässig". "Die Voest muss österreichisch bleiben."

Zuversichtlich zeigte sich Gusenbauer, dass im Österreich-Konvent für eine Verfassungsreform eine einvernehmliche Lösung möglich ist. Am Ende sollten eine Stärkung der Demokratie, mehr Bürgernähe und ein effizienterer Ablauf der Verwaltung stehen.

SPÖ will "neue Form der Politik" starten

Die SPÖ hat am Donnerstag für ihren "Dialog mit Österreich" ganz bewusst eine Fachhochschule als Ort ausgewählt. Während die ÖVP mit Kanzler Wolfgang Schüssel sich in der Hofburg bzw. am Ballhausplatz "einbunkert", suche die SPÖ den Weg zu den Menschen, sagte Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos in seiner Einleitung. Die SPÖ wolle damit eine neue Form der Politik starten. Während es der Regierung um Machterhalt und Klientelansprüche gehe, orientiere sich die SPÖ an den Sorgen und Zukunftswünschen der Menschen. Deshalb haben bei der Veranstaltung auch vier Personen ihre Einzelschicksale präsentiert.

Einzelschicksale

Ein Facharbeiter aus der Voest in Linz griff zu einem drastischen Bild. Die Regierung könne ihm jeden Finger seiner Hand einzeln brechen, aber wenn er die Hand zur Faust balle, gehe das schwerer. Er forderte deshalb alle auf, eine Faust zu machen. Der Schichtarbeiter warf der Regierung vor, mit den sogenannten abfedernden Maßnahmen wolle sie die Menschen nur "rupfen". Bei der Pensionsreform werde jetzt die staatliche Säule um 40 bis 50 Prozent gekürzt. Bei der zweiten Säule der betrieblichen Vorsorge ergebe sich das Problem, dass die Aktien nicht halten. Und die dritte Säule der Privatvorsorge sei nicht leistbar.

Ein Wiener Schüler forderte statt des Ankaufs der Abfangjäger Investitionen in die Bildung. Er rief die Regierung zu "Kompromissbereitschaft statt autoritärem Eigenlob" auf. Dem Bundeskanzler hielt der Schüler vor, antisemitische Ressentiments zu fördern.

Eine Alleinerzieherin von zwei Kindern forderte eine Politik, "die die Lebensumstände aller Bevölkerungsgruppen berücksichtigt". Sie beklagte, dass sie auf private Kinderbetreuungseinrichtungen ausweichen müsse, weil die Öffnungszeiten der öffentlichen für Berufstätige nicht ausreichend seien.

Eine Jungunternehmerin verwies darauf, dass die Wirtschaft Jobs und damit Wohlstand schaffe. Sie forderte: "Österreich muss raus aus der Kreditfalle." (APA)