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Eugenie Schwarzwald
(1872 - 1940)

Foto: Archiv

Die Mädchenschule der Eugenie Schwarzwald in der Wallnerstraße 9 wurde von zu vielen ihrer Schülerinnen verklärt, von Helene Weigel und Hilde Spiel bis, am schlimmsten von allen, Alice Herdan-Zuckmayer. Meine Mutter und ihre spätere Studienkollegin, Tochter eines böhmischen Müllers, waren auch dort gelandet, aber sie gehörten anderen Kreisen an und hatten deshalb Schulgeldermäßigung, was "Frau Doktor" ihnen oft vorwarf.

Immerhin: Bevor Eugenie Schwarzwald ihre Schule in der Wallnerstraße gründete, war Mädchen keine höhere öffentliche Schule zugänglich. Zum Studium waren viele ab 1865 nach Zürich gegangen. Unsere Mutter und ihre Freundin, die später den Primar des Rothschildspitals heiratete und noch nach Amerika fliehen konnte, gehörten zu den ersten, die in Wien Medizin studierten. Aber "die Schwarzwald" blieb ihnen dennoch in keiner guten Erinnerung. Auf dem Dachgarten trieben die Schülerinnen zwischen einigen Kaminen Gymnastik. Das sieht schon 1913 vor der verschwimmenden Kontur des Stephansdoms leicht beängstigend aus. Kokoschka - den Eugenie Schwarzwald als Zeichenlehrer angestellt und damit angeblich vor dem Verhungern gerettet hatte - und Schönberg gehörten zu den Lehrern. Schönberg hielt Seminare für Komposition, aber gleichzeitig gab es Sommerprozessionen und Reigentänze: "Jeder Mensch, der vorüberging, musste glauben, dass wir in Freiheit dem Sommerglück zuwanderten" (Eugenie Schwarzwald 1921).

An ein solches Sommerglück wollten meine Schwester und ich in den "Kinderkolonien", wie sie auch "die Schwarzwald" organisierte, nie glauben. Dort wurde man gezwungen, zu viel zu essen, zu viel zu schlafen oder von 13 Uhr bis 16 Uhr zumindest so zu tun, als schliefe man. So ging jeder Schlaf verloren und kam nicht zurück. Auch jede Neigung zu Gebirgslandschaften verschwand.

"Regeln für den, der in Bergen baut", schrieb Adolf Loos im Jahresbericht der Schwarzwald-Schule von 1912/1913. Das klang fremd genug. Aber wer baute in Bergen? Die Spaziergänge der Kolonienkinder führten täglich an der Villa von Jakob Wassermann vorbei, wir sahen ihn im Vorgarten seine Rosensträucher zurechtstutzen. Dahinter die Kulisse einer Landschaft, die mir jede Landschaft verdächtig machte. Am besten war es, sich taub und blind und stumm zu stellen.

"Wir sind jung und das ist schön" sangen die Wiener Kinder, und das stimmt noch weniger als die Rosenstöcke von Jakob Wassermann. Wir sehnten den Herbst herbei, das Ende der Kinderkolonien-Existenz. Fast schon das Ende jeder Existenz.
(DER STANDARD, Printausgabe, 16.5.2003)