In den Niederlanden regiert seit beinahe einem Jahr das Kabinett um Premierminister Mark Rutte. Er benötigt die Unterstützung der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders, der in Einwanderung und in der Macht Europas den Untergang des Landes sieht. Seine Partei duldet erstmals eine Minderheitskoalition von Liberalen und Christdemokraten unter der Vereinbarung, dass gegen diese Bedrohungen hart vorgegangen wird. „Dulden" ist ein typisch niederländischer Politikbegriff, der stillschweigend all das zulässt, was in anderen Ländern oft strenger geregelt ist. In diesem Fall verläuft die Duldung jedoch alles andere als stillschweigend: Wilders nutzt jede Plattform, um mit dem Ruf der Niederländer als bravste Schüler im europäischen Klassenzimmer aufzuräumen.

Zwischen den anderen Parteien, die an einer für die Öffentlichkeit farblosen Politik festhalten, erreicht Wilders viel Aufmerksamkeit. Eine wichtige Rolle spielt dabei nicht nur die verbale Gewalt des Populisten, der traditionelle Parteien in die Verteidigung zwingt. Was ist los in den Niederlanden?

Die gesellschaftliche Unzufriedenheit wird befeuert

Die Konsensdemokratie legt traditionell großen Wert auf eine faire Interessenvertretung und Kompromisse. Damit herrscht jedoch ein Widerspruch im System: Anders als in Deutschland gibt es kaum Hürden für politische Repräsentation, doch Kompromisse werden meistens hinter geschlossenen Türen und zwischen den etablierten Parteien geschlossen. Oft kehrt eine Partei trotz schwerer Verluste zurück in die Regierung - zur Not in Form eines Minderheitskabinetts, wie es jetzt der Fall ist. Parteien, die bei diesem Gesellschaftsspiel der Konsenspolitik nicht mitspielen, versuchen, auf anderem Weg ihren Einfluss auszuüben. So befeuert die Opposition mit Hilfe parlamentarischer Debatten die gesellschaftliche Unzufriedenheit über etablierte Parteien. Auch Wilders nutzt diese Möglichkeit zur Beschwerde wie fanatisch.

So viel Frust über dieses System auch herrschen mag, so viele Vorschläge zur Veränderung gab es in den vergangenen Jahrzehnten. Ein unlängst vorgestellter, kritischer Report über die niederländische Demokratie schlägt vor, den Wählern eine größere Möglichkeit zu verschaffen, mit den Parteien abzurechnen. Darunter ist weitaus mehr zu verstehen als die Rhetorik der rechten und linken Populisten. In der zersplitterten politischen Landschaft der Niederlande versuchen traditionelle Parteien, ihr eigenes Land trocken zu halten, während das Wasser ansteigt. Es sind also zwei Dinge nötig:

Kompromisse liefern trübe Resultate

Zunächst sind die Grenzen der Politik als Spiegelbild der Gesellschaft erreicht - es gibt zu viele verschiedene Ansprüche. Kompromisse liefern den Bürgern nichts als trübe Resultate ohne deutliche Farbe und ohne Zukunftsvision. Eine andere Diagnose lautet, dass Wähler an der Urne nur mit Parteien abrechnen, wenn es tatsächliche Alternativen gibt. In den vergangenen Jahren lag die Alternative hauptsächlich in rechten Parteien, doch der Populismus bleibt als Alternative größtenteils an der Peripherie. Eine Regierungsteilname kurz nach dem Mord an Pim Fortuyn im Jahr 2002 wurde schnell zum Fiasko. Wilders weiß deshalb nur zu gut, dass er die Grenzen seines Einflusses wahren muss.

Die Oppositionsparteien links des Zentrums müssen zunehmend ihre Lektionen aus der gegenwärtigen Situation lernen. Sollten die progressiven Parteien wirklich etwas erreichen wollen, müssten sie eine gemeinsame Alternative gegen das Kabinett formieren, für das sich die Niederlande ihrer Meinung nach schämen sollten. (derStandard.at, 5.4.2011)