
Erheiternde Etüden der Widersprüche und des "absichtlichen Verstehens": der Linzer Lyriker Christian Steinbacher.
Ein Porträt von Ronald Pohl
Linz - Der Leser von Gedichten Christian Steinbachers kann Erfahrungen der Wortwörtlichkeit machen, die in der deutschsprachigen Poesie unserer Tage ihresgleichen suchen. Allein die Überschriften bringen einen auf die erheiterndste Weise um den Verstand: Aus "Jubel, Trubel, Heiterkeit" werden in einem Gedichttitel seines neuen Bandes Winkschaden, abgesetzt (Czernin) "Trubel, Knebel, Redlichkeit".
Steinbacher (50), aus Ried/Innkreis gebürtig und seit Ewigkeiten im beschaulichen Linz ansässig, hat die Nabelschnur, die ihn mit der experimentellen Avantgarde verband, vielleicht nicht durchtrennt. Aber er hat sie gelockert.
Zu seinen Gedichten ließen sich detaillierte Umrisspläne zeichnen: Konturen vertrackter Gebilde, deren einzelne Teile sich wie Leitersprossen oder Gitterstäbe zueinander verhalten. Wer die Leiter eines Steinbacher-Gedichts erklommen hat, kann die Kletterhilfe getrost entsorgen: "Darin das Drehmoment eines Verschwenders / besteht, dass dem selbst ein Pantoffel / geht mit einer neuen Hose zusammen. Na wo? / Wo es rutscht? Aber das Rutschmoment ist / kein geölter Fisch. (...)"
Eher beruft sich dann schon die "Auslegung" eines "Handtuchs" auf die "Unmittelbarkeit im Verzug", mit dem "uns das Abtrocknen plötzlich in seinem Ausflug vorangeht".
Handtuch geworfen heißt hier eben nicht: Bahnhof verstanden. Christian Steinbacher, im vergangenen Jahr Gewinner des Wartholz-Literaturpreises, hat nebstbei ganz hinreißende Bahnreisegedichte geschrieben. Die Flohsprünge seines denkenden Sprachvollzugs verlangen nach einer im besten Sinne vorurteilsfreien Lektüre. Wer sich hier vom Tausendsten zurück ins Hundertste bewegt, kann von einer Orgelempore der Pfarrkirche St. Michael in Litschau über das Magentarot zur Apotheose eines Affen gelangen.
Freiheit und Form
Ein Malteser aus Malawi landet dann bei Liwanzen in Litschau, während ein "auffahrender" Malewitsch nach Mali abdüst, um sich dort einen Fratzen-Maki zu holen. In den Büschen "bockt" derweil "Herr Wilhelm" (Wilhelm Busch) und warnt davor, dass ihm gleich ein Fipps entweichen werde.
Der Wiener Philosoph Franz Schuh, im vergangenen Jahr Juror des Wartholz-Preises, bekannte nicht ohne stille Verzückung, dass ihm die Dichtung Steinbachers das Rätsel aufgebe, "wie denn diese eigenwillige Verknüpfung aus streng konstruierten und frei assoziierten Motiven in seinen Texten zustande kommt".
Der Autor selbst ist nach einigen Publikationen beim Haymon-Verlag zu Czernin nach Wien übersiedelt. Seine kontrollierten Stolperbewegungen durch das Sprachgelände, seine kalkulierten Ausfälle und Abschweifungen huldigen einem Ideal der Freiheit, wie man es sonst nur im Felde der improvisierten Musik (vulgo: Jazz) verwirklicht findet.
Steinbacher nimmt den Begriff der Stolperfalle bereitwillig auf: "Die Stolperfallen sind auch im Buchtitel markiert. Das Wort Winkschaden entstammt der Sprache der Eisenbahnfreaks, die, wenn auf einem Foto jemand aus dem Zug winkt, das Foto als schadhaft einstufen."
Nichts existiert vorab. Sprachliche Vereinbarungen sind Festlegungen, die man auch wieder verwerfen kann: "Ausrutscher unterschiedlichster Art, vom Bilderbruch bis zu verwischten und vermischten Idiomen, von einem plötzlichen Implodieren des Metrums bis zur syntaktischen Überdehnung und Verrenkung, halten für mich Texte lebendig."
Christian Steinbacher, ein begnadeter Vortragskünstler, nennt als Wurzel seines Tuns eine "präsentistische Schreibtradition, die - wie etwa Gerhard Rühm - versucht, das, was sie beschreibt, in diesem Schreiben auch zu tun."
In Steinbachers Gebilden flirrt und knackt es unausgesetzt: Man meint zu hören, wie die Synapsen knistern. Der Autor: "Das Gedicht Im freien Sputum deiner Worte (Sputum statt Metrum: Spucke statt Versmaß) liefert ein Besingen der vergeblichen Müh', und zwar der vergeblichen Mühe des Besingens, das, indem dieses Besingen geschieht, eben nicht vergeblich war etc. Solche inneren Widersprüche versuche ich zu forcieren." Man ist versucht, in Versen des genannten Gedichts zu ergänzen: "Um in der Trübsal dieses Taktstocks ohne Stundung / herumstochern dann nicht zu müssen." Denn das übliche Verlauten locke keinen "Wackeldackel hinterm Wärmepol" hervor. (DER STANDARD, Printausgabe, 7.4.2011)