Bis spätestens 2050 wird der Gletscher auf dem Gipfelplateau des Kilimandscharo endgültig verschwunden sein, prophezeit Klimaforscher Thomas Mölg.

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STANDARD: Sie beschäftigen sich seit Ihrer Diplomarbeit hauptsächlich mit Gletschern in den afrikanischen Tropen. Was ist daran für die Klimaforschung so interessant?

Mölg: Die meisten bisherigen Klimadaten stammten aus den unteren Luftschichten. Mit unseren vier Messstationen in Gipfelnähe des Kilimandscharo hat man komplett neue Daten aus fast 6000 Metern Seehöhe zur Verfügung. Diese Messungen sind aber nicht nur für das lokale Klima relevant. Es gelang uns nämlich, auf Basis der Daten mit Rechenmodellen Rückschlüsse auf bisher unbekannte Zirkulationsmuster zu ziehen. Das ist das eigentlich Neue.

STANDARD: Dieses Zirkulationsmuster trägt auch dazu bei, dass die Gletscher am Kilimandscharo kleiner werden?

Mölg: Richtig. Wir gehen davon aus, dass das in erster Linie an der Trockenheit seit Ende des 19. Jahrhunderts liegt. Diese Trockenheit geht auf ein Zirkulationssystem zurück, das seinen Ausgang im Indischen Ozean hat und sich mit Verzögerungen auf Ostafrika auswirkt. Und dieses Zirkulationssystem ist wiederum vom sogenannten El-Niño-Phänomen beeinflusst.

STANDARD: Es gibt Forscher, die behaupten, dass am Gletscherschwund des Kilimandscharo einfach eine lokale Erwärmung schuld sei. Bestätigen die internationalen Preise, die Sie zuletzt erhalten haben, dass Sie recht haben?

Mölg: Diese Auseinandersetzung ist von den Medien etwas aufgebauscht worden. Ich denke, dass man in der Wissenschaft von der Qualität unserer Arbeiten längst überzeugt ist. Wir haben auch schon zehn Fachartikel in begutachteten Zeitschriften dazu veröffentlicht - und unser Gegenspieler gerade einmal ein oder zwei. Mit den Preisen wurden auch unsere Innovationen bei der Erforschung von dynamischen Verknüpfungen im Klimasystem gewürdigt. Um zu verstehen, warum dort oben der Gletscher verschwindet, hilft es nichts, nur den Gletscher zu beobachten.

STANDARD: Lässt sich sagen, wann die Gletscher am Kilimandscharo ganz verschwunden sein werden?

Mölg: Nicht wirklich, weil die Gletscher am Hang und auf dem Gipfel ganz anders reagieren. Die auf dem Gipfelplateau werden wohl zwischen 2030 und 2050 verschwunden sein. Bei denen am Hang weiß man es noch nicht so genau.

STANDARD: Wie oft waren Sie und Ihre Kollegen seit Beginn des Projekts vor sieben Jahren eigentlich auf dem eigentlichen Kibo-Gipfel auf über 5800 Metern Seehöhe?

Mölg: Wir sind jedes Jahr mindestens einmal oben, insgesamt wohl rund ein Dutzend Mal. Da es für jede Besteigung ein Zertifikat gibt, konnten wir damit schon eine ganze Wand in unsrem Büro vollkleben. Ich war nicht so oft dabei, weil ich mich auf das Modellieren konzentriere.

STANDARD: Was bedeuten Ihre Erkenntnisse für die Landwirtschaft in Ostafrika? Und informieren Sie die Leute darüber?

Mölg: Ja, wir geben einmal im Jahr unsere Ergebnisse an die Behörden in Tansania weiter. Im Moment gehen wir davon aus, dass es auch in den unteren Regionen trockener wird, sehr wahrscheinlich ist die Austrocknung im Hochgebirge aber stärker als im Tiefland.

STANDARD: Lässt sich allgemeiner sagen, welche Regionen global von der Erwärmung und der Trockenheit betroffen sind?

Mölg: Man kann davon ausgehen, dass das vor allem die Zonen der Randtropen in der Nähe der Wendekreisen sein werden. Wenn sich die Klimaerwärmung fortsetzt, dann muss man annehmen, dass das die Regionen sind, wo es noch heißer und trockener wird. Davon betroffen sind unter anderem Mexiko, Südwestaustralien, Südafrika, aber auch der Mittelmeerraum. Das ist eines der robusten Signale in den Klimamodellen. Einen Vorgeschmack dafür haben wir in den letzten Sommer in Südeuropa bekommen.

STANDARD: Die Klimaforscher verbieten es sich eigentlich, von Extremen auf allgemeine Trends zu schließen.

Mölg: Richtig. Man muss immer versuchen, die Extremereignisse über längere Zeiträume anzuschauen. Häufungen über zehn, zwanzig Jahre sind aber schon ein guter Hinweis.

STANDARD: Wie abgesichert ist das, was die Klimaforschung heute weiß? Und worin liegen die nächsten Herausforderungen?

Mölg: Ich denke, dass man das globale Klimasystem gut versteht. Das große Thema der nächsten Jahre wird sein, diese globalen Tendenzen - also vor allem die Erderwärmung - auf regionale Entwicklungen herunterzubrechen. Dafür muss man auf höhere Auflösungen kommen. Es geht also zum Beispiel darum, besser zu verstehen, was sich im Alpenraum oder auch in Österreich genau verändert.

STANDARD: Wollen Sie daran in den nächsten Jahren forschen?

Mölg: Indirekt ja. Vor allem wollen wir die methodischen Fortschritte, die wir mit unserem Modellsystem gemacht haben, zuerst einmal global anwenden. Wir wollen also zum Beispiel überprüfen, ob sich unser Modell auch für andere Klimazonen wie etwa den Monsun und den Himalaya oder den Alpenraum eignet. Wenn das funktioniert, wäre das ein neuartiges Werkzeug, um vergangene Zirkulationen zu rekonstruieren.

STANDARD: Wie hat man sich Ihre Arbeit konkret vorzustellen?

Mölg: Als Klimamodellierer arbeitet man vor allem mit und am Computer. Dabei muss man sehr konzentriert sein und braucht viel Ruhe, wenn man ein neues Modul ins Modell dazubaut. Dazwischen gibt es die Expeditionen, und dann sind wir zwei bis drei Wochen im Feld.

STANDARD: Sie haben sich kürzlich habilitiert, aber keine feste Stelle. Wo sehen Sie Ihre weitere Zukunft?

Mölg: Ich hatte zweimal drei Jahre eine FWF-Post-Doc-Stelle und bin noch bis Ende Juli von der Uni finanziert. Es laufen einige Anträge, und je nachdem, wie die ausgehen, wird man weitersehen.

STANDARD: Wie halten Sie und Ihre Kollegen es im Alltag mit dem Klimaschutz? Ist das ein Thema?

Mölg: Auf alle Fälle. Wir sprechen immer wieder darüber und versuchen automatisch, möglichst klimaneutral zu leben. Ich pendle zum Beispiel oft zwischen Innsbruck und Wien und fahre dabei nur mit der Bahn. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.04.2011)