Sanya - Unmittelbar vor Beginn hochrangiger Treffen der internationalen Finanzpolitik in Washington haben die fünf wichtigsten Schwellenländer einen neuen Angriff auf die Dollar-Dominanz gestartet. Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (BRICS) vereinbarten am Donnerstag die gegenseitige Vergabe von Krediten in ihren eigenen Währungen - unter Umgehung des "Greenback". Mit der Forderung nach einer umfassenden Reform des internationalen Devisensystems unterstrich die Gruppe bei ihrem eigenen Treffen in China zudem die Kritik an der Vorherrschaft des Dollar: Die Staaten verlangten ein breiter aufgestelltes und damit stabileres System der Reservewährungen. Der Vorstoß demonstriert den Anspruch der immer selbstbewusster werdenden BRICS auf ein größeres Mitspracherecht in der internationalen Finanzpolitik. Die fünf führenden Schwellenländer sehen zugleich neue Risiken für die Weltwirtschaft.
Die Finanzkrise habe die Schwächen des am Dollar orientierten Systems entblößt, hieß es in einem Kommuniqué. "Die Weltwirtschaft macht tiefe und komplexe Veränderungen durch", betonte Chinas Präsident Hu Jintao. Deshalb sei eine Stärkung des Dialogs und der Kooperation unter den BRICS-Ländern notwendig. Russlands Präsident Dmitri Medwedew beschrieb die Staaten als Schwergewicht: "Unser wirtschaftliches Potenzial, unser politischer Einfluss und unsere Entwicklungsmöglichkeiten als Allianz sind außerordentlich", sagte er bei dem Treffen im südchinesischen Touristenort Sanya auf der Insel Hainan.
"Die Qualität und die Dauer der weltweiten Konjunkturerholung hängt zu einem großen Teil von der Wirtschaftsleistung der BRICS ab", unterstrich der indische Ministerpräsident Manmohan Singh. Vor diesem Hintergrund nahmen die BRICS die von ihnen ungeliebte Dollar-Dominanz verstärkt ins Visier - pünktlich zur Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) sowie dem Treffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G-20) in Washington. Gegenüber den traditionellen Weltmächten der internationalen Finanzpolitik, den sieben wichtigsten Industrieländern (G-7), untermauern die BRICS damit ihren Anspruch auf größeres Gewicht im Währungssystem und in der Finanzpolitik.
Zweifel an langfristiger Stabilität des Dollar
Wegen der riesigen Außenhandels- und Haushaltsdefizite der USA haben die Schwellenländer Zweifel an der langfristigen Stabilität des Dollar als führende Reservewährung. Die BRICS werfen der US-Regierung wenig verhohlen vor, ihrer Verantwortung für das Weltwährungssystem nicht gerecht zu werden. Bei ihrem Treffen diskutierten sie deshalb ein stärkeres Gewicht der Sonderziehungsrechte (SZR). Dieser Kunstwährung des Internationalen Währungsfonds (IWF) trauen einige Experten zu, den Dollar teilweise abzulösen. Doch auch unter den BRICS herrschte Uneinigkeit - darüber, ob der den SZR zugrundeliegende Währungskorb von Dollar, Euro, Yen und Pfund um den chinesischen Yuan erweitert werden soll. Unter anderem Brasilien pocht BRICS-Kreisen zufolge darauf, dass der Yuan zuvor international frei handelbar werden müsse.
Trotz ihrer Differenzen streben die BRICS gemeinsame Verhandlungspositionen an, um in Gremien wie den G-20 ein schlagkräftiges Gegengewicht zu den Industriestaaten zu bilden. So forderten sie bei ihrem Gipfel eine strengere Regulierung der Derivate-Märkte, um Preisschwankungen bei Lebensmitteln und Energie zu verhindern. Die übermäßige Fluktuation der Preise für Rohstoffe und Energie gefährde die globale wirtschaftliche Erholung, beklagten die Staats- und Regierungschefs in einer gemeinsamen Erklärung. Bei der Nahrungsmittelsicherheit wollen sie enger zusammenarbeiten.
Das zunehmende Muskelspiel der führenden Schwellenländer speist sich nicht nur aus der gemeinsamen Konjunkturkraft, die mittlerweile zusammen fast ein Fünftel der Weltwirtschaft ausmacht. Südafrika nahm zum ersten Mal an einem Treffen der Boomländer teil. Auch sind die BRICS vergleichsweise heil durch die Wirtschaftskrise gekommen, mit deren Nachwehen viele hoch verschuldete Industriestaaten noch immer zu kämpfen haben: Nach IWF-Prognosen wird die Wirtschaft in den Entwicklungs- und Schwellenländer 2011 und 2012 um jeweils 6,5 Prozent wachsen. Die Industriestaaten müssen sich dagegen mit einem Plus von 2,4 und 2,6 Prozent begnügen.
Auch nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima bekräftigten die Schwellenländer, dass die Kernenergie ein "wichtiges Element" ihrer Energiegewinnung bleibe. Die Kooperation in Sicherheitsfragen der Atomkraft solle aber ausgeweitet werden. Den Menschen in Japan sprachen die Staats- und Regierungschefs ihr tiefes Beileid über die Opfer der Katastrophen durch Erdbeben, Tsunami und Atomunglück aus. Ihren nächsten Gipfel wollen die Brics-Staaten 2012 in Indien abhalten. (APA)