Alle reden und schreiben über die innenpolitischen Fragen, die der neue ÖVP-Obmann Michael Spindelegger am Parteitag im Mai beantworten möchte. Über allem jedoch schweben die internationalen Probleme. Eines davon, bei genauerem Hinsehen eines der wichtigsten, ist die Frage: Wie halten wir es mit dem EU-Beitritt der Türkei?

Sie ist unter den Staaten mit islamischer Bevölkerungsmehrheit das fortschrittlichste Land, was demokratische Strukturen betrifft - weshalb die Türkei (auch als Nato-Mitglied) in den jungen Demokratiebewegungen der nordafrikanischen Staaten als Vorbild figuriert. Das hat Auswirkungen auf die Beurteilung der Beitrittsfrage. Denn der Einfluss der Türkei auf junge Muslime wird größer, das Gewicht türkischer Investoren im Nahen Osten wächst.

Aber es gibt auch Rückschritte:Die Attacken auf die Pressefreiheit, die Verhaftung vieler Journalisten sind intolerabel. Und werden von Brüssel viel zu lasch kritisiert. Trotzdem oder gerade deshalb muss eine Partei wie die ÖVP, die nicht müde wird, ihren EU-Enthusiasmus zu betonen, auch in der Türkei-Frage eine klare Position beziehen.

Typisch für österreichische Verhältnisse wäre, das wachsende Engagement der österreichischen Wirtschaft am Bosporus zu verschweigen - um die Islamfeindlichkeit der Funktionäre leichter als Maßstab anlegen zu können. Und (auch aus Angst vor der FPÖ und dem medialen Boulevard) den Beitritt zur EU weiterhin abzulehnen. Man merkt es ja immer wieder: Die meisten heimischen Journalisten schreiben über Innenpolitik. Ein tieferes Anliegen ist ihnen Außenpolitik nicht - wie der Mehrheit der Politiker.

Ob man vor dem Hintergrund des Angst-Szenarios von einer "Partnerschaft" spricht oder im Sinne weiser strategischer Voraussicht gleich eine Vollmitgliedschaft anpeilt, ist inhaltlich dasselbe: Vor 2020 wird es einen Beitritt ohnehin nicht geben, bei beiden Varianten werden Übergangsfristen installiert. Der Unterschied: bei der Vollmitgliedschaft ein türkischer Kommissar, einige hohe Beamte. Mehr Wind als die Polen oder die Briten können auch die Türken nicht machen.

Michael Spindelegger hat mit seiner Schwarzmeer-Initiative bereits ein Zeichen der Öffnung gesetzt. Und er weiß ganz sicher, dass seine Türkei-Position auch grundsätzliche innenpolitische Fragen betrifft: die Integration (siehe Türkisch-Matura), den Islam (Stärkung der Moderaten oder nicht) und die Infrastrukturen (siehe Nabucco-Pipeline).

Im Juni wird es in Österreich "Mini-Davos", einen Wirtschaftsgipfel über Europa, Asien und die Schwarzmeer-Region geben. Vielleicht ein Anlass zu einer Änderung der Türkei-Politik. Im Vergleich zur Linie Wolfgang Schüssels braucht Spindelegger nicht sehr viel weiterdrehen. Wie sein Vorvorgänger könnte er die "Ergebnisoffenheit" in den Vordergrund stellen. Aber er könnte sie mit der Hoffnung verbinden, dass der Beitritt der Türkei gelingen möge. Das wäre eine außenpolitische Neuaufstellung. Und ein Lackmustest. (STANDARD-Printausgabe, 18.4.2011)