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Experten erwarten, dass Baumwolle langfristig knapp wird. Die Preise steigen.
Die Diskussion um Klimaschutz und knappe Ressourcen hat den Kleiderschrank erreicht.
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Wien - Es liest sich wie das Who's Who der Bekleidungsindustrie: Von Adidas bis C&A, Levi Strauss und Nike bis Marks & Spencer reicht der Bogen der Konzerne, die sich grün geben und für den Nachweis, es tatsächlich zu sein, regelmäßige Überprüfungen über sich ergehen lassen. Damit wollen sie dem Wunsch vieler Konsumenten Rechnung tragen, dass über die gesamte Wertschöpfungskette bis zur Konfektion des Endprodukts möglichst umweltschonend vorgegangen wird. Die größte Verwerfung dürfte es aber bald beim Rohstoffmix geben.
"Wir schätzen, dass es im Jahr 2030 bei Baumwollfasern eine Lücke von elf Millionen Tonnen geben wird", sagte Otto P. Kazil, Direktor der in Zürich ansässigen Gherzi Textil Organisation, dem Standard. Die Lücke könne durch synthetische Fasern und Viskose (das sind Fasern aus Zellwolle) nur teilweise geschlossen werden. "Man wird über Alternativen nachdenken müssen", sagte Kazil.
In einer Studie hat Gherzi, ein auf Textil und Bekleidung spezialisiertes Beratungsunternehmen, aus vorherrschenden Trends Szenerien bis 2030 abgeleitet. Quintessenz: Die Bedeutung von Baumwolle, die zur Zeit noch etwa ein Drittel zum weltweiten Faserverbrauch von 74 Mio. Tonnen beiträgt, wird auf wenig mehr als 20 Prozent sinken. Synthetische Fasern wie Polyester, Polyamid oder Polyacryl, die aus Erdöl gewonnen werden und 58 Prozent des Gesamtfaserverbrauchs ausmachen, werden weiter zulegen. Und Viskose, die ähnliche Eigenschaften hat wie Baumwolle, dürfte anteilsmäßig von derzeit 5,7 auf zehn bis zwölf Prozent steigen.
Das Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage habe mit Trends zu tun, die nicht beeinflussbar seien, so Kazil. Die Erdbevölkerung etwa wird bis 2030 um weitere 1,4 Milliarden Menschen wachsen. Dies und die Tatsache, dass mit steigendem Wohlstand der Pro-Kopf-Verbrauch von Textilien beschleunigt werde, schiebe die Nachfrage stark an.
Spitzenreiter beim Pro-Kopf-Verbrauch von textilen Fasern sind die USA mit durchschnittlich 40 Kilo pro Jahr. In der EU sind es 25, in der Türkei 18 Kilo. China (zwölf), Brasilien (zehn) und Indien (fünf) liegen vergleichsweise weit zurück, holen aber stark auf. Bei Baumwolle, die überwiegend aus China, Indien und USA kommt, dürfte der maximal mögliche Output schon allein wegen des enormen Ressourcenverbrauchs erreicht sein.
"Baumwolle steht stark unter Druck, weil sie einen hohen Wasserverbrauch hat und viel Chemie erfordert" , sagte Kazil. Zur Gewinnung von einem Kilo Baumwollfasern seien 10.000 bis 17.000 Liter Wasser nötig, bei Viskosefasern seien es 260 bis 500 Liter. Zudem gingen 25 Prozent aller weltweit verwendeten Insektizide und elf Prozent aller Pestizide in die Baumwolle. Wegen der zunehmenden Urbanisierung fehlten auch zunehmend Flächen zum Anbau. Für eine Tonne Baumwollfasern benötigt man eine Fläche von 2,35 Hektar, für eine Tonne Viskose nur 0,2 bis 0,7 Hektar.
Bis vor zwei Jahren war Baumwolle billiger als Viskose, was zum Teil auch den nach wie vor hohen Anteil am Rohstoffmix erklärt. Seither hat sich das Blatt gewendet. Der Baumwollpreis ist innerhalb kurzer Zeit von etwa einem Dollar je Kilo auf vier Dollar gestiegen - ein Rekord. Zwar hat sich Baumwolle inzwischen wieder etwas verbilligt; auf unter zwei Dollar je Kilo werde der Preis aber wohl nicht mehr fallen, glaubt Kazil.
Suche nach Alternativen
Unternehmen wie die indische Birla oder die österreichische Lenzing, die sich den Weltmarkt für Viskosefasern teilen, investieren kräftig in neue Produktionslinien. Allein die Oberösterreicher wollen ihre Produktionskapazität bis 2014 um 300.000 auf eine Million Tonnen erhöhen. Doch da droht die nächste Gefahr. "Wenn die Pläne der Hersteller so umgesetzt werden, wird es mit der Zeit auch bei der Rohstoffversorgung eng", sagte Kazil. In der Tat werde bereits an Alternativen gearbeitet, etwa Recycling von Baumwollverschnitt oder Verwendung der kurzen Härchen, die sich auf Baumwollsamen befinden und etwa in Indien gar nicht genutzt werden. Das allein brächte mehr als eine Million Tonnen Rohstoff, der mit Zellulose vermischt und zu Fäden versponnen werden könne. (Günther Strobl, DER STANDARD, Printausgabe, 20.4.2011)