Wien - In Wien ist am Mittwoch ein monatelanges Martyrium von vier Geschwistern bekanntgeworden. Die Kleinkinder zwischen zehn Monaten und viereinhalb Jahren sollen täglich für mehrere Stunden von ihren Eltern in Kinderwagen fixiert und vor dem Fernseher regelrecht geparkt worden sein. Das Jugendamt schritt ein und brachte die zwei Buben und zwei Mädchen in eine betreute Wohngemeinschaft bzw. zu Pflegeeltern. Sie werden wohl nicht so bald zu ihren Eltern zurückkehren. Experten konstatierten bei den Sprösslingen schwere Entwicklungsstörungen.
Aufmerksam wurde die Behörde auf den Fall bei der Geburt des jüngsten Kindes. Die Mutter soll im Spital einen schwer überforderten Eindruck gemacht haben, berichtete die Sprecherin des Jugendamtes. Nachforschungen haben ergeben, dass der Verdacht richtig war: Die Kinder wurden stundenlang vor den Fernseher gesetzt, fixiert in ihren Kinderwagen. Experten konstatierten schwere Entwicklungsstörungen, unter anderem Sprachdefizite.
Kein Verständnis der Eltern
"Die Chance auf eine Rückkehr ist gering", wird im Jugendamt bekräftigt. Was auch an den Eltern liegen dürfte. "Es gibt bei denen nicht wirklich ein Verständnis dafür, dass da etwas falsch gelaufen ist", erklärte die Sprecherin. Völlig abgeschottet sind die betroffenen Geschwister aber nicht. Sie sind seit Jänner von den Eltern getrennt, es gibt zu ihnen jedoch Kontakt.
Das Wiener Jugendamt muss pro Jahr bis zu 5.000 Vernachlässigungen nachgehen. Immer wieder handelt es sich um Fälle, in denen Eltern ihren Pflichten nicht nachkommen wollen oder können. "Manche glauben, es reicht, wenn die Kinder etwas zu essen haben", berichtete die Sprecherin der MA 11.
"Grobe Vernachlässigung"
Christian Popow von der Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie im AKH sieht in dem aktuellen Fall "grobe Vernachlässigung" gegeben. Die zwei Mädchen und zwei Buben seien mit Sicherheit in ihrer sprachlichen, sozialen und emotionalen Entwicklung beeinträchtigt. Möglicherweise würden die Kinder bis ins Erwachsenenalter an Bindungsstörungen leiden. Betroffene würden unberechenbares Verhalten in Beziehungen zu anderen Menschen aufweisen und etwa im Frustrationsfall nicht adäquat reagieren.
Die Kinder hätten jedenfalls unter "emotionaler Deprivation" (fehlende Umsorgung und Nestwärme, Anm.) gelitten. Die mittel- und langfristigen Auswirkungen seien schwer einzuschätzen, ohne den Einzelfall genau zu kennen. Hier würden auch andere Aspekte einfließen, beispielsweise wie es dem Nachwuchs im Säuglingsalter ergangen oder inwiefern überhaupt noch eine Bindung zu den Eltern aufrecht gewesen sei, gab Popow zu bedenken.
Was den konkreten Fall betrifft, sei es laut Popow für die vier Kinder nun äußerst wichtig, eine konstante Bezugsperson zu haben, die ihnen die nötige emotionale Wärme und Sicherheit vermitteln könne. Zudem müssten die Sprösslinge altersadäquat beschäftigt werden. Nach einer gewissen Beobachtungsphase werde sich dann entscheiden, welche Therapieformen anzuwenden seien. (APA)