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"Wenn Europa sich abschottet und seine Verantwortung nicht wahrnimmt, untergräbt es seine Werte und das Fundament, von dem wir glauben, dass unsere demokratischen Gesellschaften darauf aufgebaut sind", so Diakonie-Direktor Chalupka.

Foto: REUTERS/John Kolesidis

Verbunden mit den Umbrüchen in Nordafrika werden die Flüchtlingsströme nach Europa immer größer. Angesichts dieser Tatsache nahmen Michael Chalupka und Christoph Riedl von der Diakonie Österreich in ihrer traditionellen Gründonnerstags-Pressekonferenz die Gelegenheit wahr, die bevorstehende Fremdenrechtsnovelle zu kommentieren und auf die Absurdität des Dublin-Verfahrens aufmerksam zu machen.

Im Hinblick auf die jüngste Novelle des Fremdenrechts, die am 29. April im Parlament beschlossen werden soll, erklärt Christoph Riedl, Geschäftsführer des Diakonie Flüchtlingsdienstes: "Wir sehen keine Notwendigkeit einer weiteren Verschärfung oder Novellierung des Asylrechtes. Wenn die Novelle in Kraft tritt, wird es möglich sein, Kinder ab dem 14. Lebensjahr in Schubhaft zu stecken." Die Diakonie fordere keine Haft für Kinder und Jugendliche sowie keine weitere Verlängerung der Schubhaft. Weiters brauche es dringend eine Wiedereinführung von Sozialbetreuung sowie eine unbedingt unabhängige Rechtsberatung in der Schubhaft.

Auch die so genannte "Mitwirkungspflicht" zu Beginn eines Verfahrens wird von der Diakonie aufs Schärfste kritisiert, denn diese sei in Wahrheit eine getarnte Haft. "Das sind keine Aufnahmebedingungen, die man Menschen auf der Flucht zumuten soll," betont der Flüchtlingsexperte. Anstatt den Menschen ein Gefühl von Sicherheit zu geben, beraube man sie ihrer Freiheit.

Keine Unterstützung von griechischen Behörden

Beispielgebend für die Widersinnigkeit des Dublin-Verfahrens wird auf die aktuelle Fallgeschichte des Herrn H. aus Pakistan verwiesen, der "wie ein Ping-Pong-Ball zwischen Österreich und Griechenland hin und her geschickt wurde." Herr H., der aufgrund seiner derzeitigen Warteposition in Traiskirchen der Gebietsbeschränkung unterliegt und den Bezirk Baden nicht verlassen darf, kann seine von Abschiebungen gezeichnete jüngste Lebensgeschichte vor den JournalistInnen nicht persönlich vortragen. Darum wurde das Protokoll seiner Erzählungen im Rahmen der Pressekonferenz der Diakonie vorgelesen.

Als Herr H. aus seiner Heimat in Pakistan nach Griechenland flüchtete, hoffte er auf europäische Hilfe und Asyl. Bekommen hat er bislang nichts davon: Nachdem er von den griechischen Behörden nicht unterstützt wurde, stand H. ohne Geld, Arbeit und Unterkunft auf der Straße. Auf der Suche nach Arbeit wurde er in Athen gekidnappt und misshandelt. Seine Verwandten in Pakistan kratzten das geforderte Lösegeld zusammen und kauften ihn wieder frei. Da die griechische Polizei aber nicht alle der Entführer schnappen konnte, hatte Herr H. große Angst. Schließlich war er erleichtert, dass ihm die Flucht nach Österreich gelang.

Keine Chance, sich als Asylwerber zu registrieren

Hier angekommen händigte man ihm einen negativen Dublin Bescheid aus und brachte ihn sofort in Schubhaft. Anfang August 2010 wurde er wieder zurück nach Griechenland abgeschoben. "Sofort nach meiner Ankunft am Flughafen wurde ich zwei Tage lang inhaftiert. Ich bekam keinen Zugang zu einem Asylverfahren, obwohl ich ständig danach gefragt habe." Vor dem Asylamt in Athen wurden die Menschen in der langen Warteschlange immer wieder weggeschickt. Für Herrn H. gab es keine Chance, sich als Asylwerber zu registrieren. Zwei Monate später wurde er als Illegaler bei einer Polizeikontrolle festgenommen.

Drei Monate lang musste sich H. eine viel zu kleinen Zelle mit vielen Mithäftlingen teilen - die sanitären Verhältnisse waren katastrophal, gemeinsam besaßen die Gefangenen nur ein Leintuch. "Einmal in der Woche durften wir für eine halbe Stunde im Gefängnishof spazieren gehen. Wenn einer von den Mithäftlingen zu laut war, wurde er mit dem Gummiknüppel geschlagen." Nach seiner Entlassung schaffte Herr H. es, aus Griechenland zu fliehen und gelangte über Mazedonien und Serbien nach Ungarn, von wo aus er wieder nach Serbien geschoben und inhaftiert wurde. Einige Zeit später kam er mit einem Schlepper bis nach Österreich und suchte Mitte April in Traiskrichen neuerlich um internationalen Schutz an.

Mitteleuropa wäscht Hände in Unzuständigkeit

Diese Fallgeschichte ist nur eine von vielen, die zeigt, wie schwierig und teils unmöglich es für Asylsuchende in Europa ist, von ihrem Menschenrecht auf Asyl Gebrauch zu machen. Die Dublin-Verordnung sollte regeln, welcher EU-Mitgliedsstaat für das Asylwerberverfahren zuständig ist und legt fest, dass Asylwerbende nur genau in dem Land um Asyl bitten dürfen, dessen Grenze sie bei ihrer Ankunft in Europa als erstes überschritten haben. Da auf diese Weise aber die Staaten mit EU-Außengrenzen die meisten Verfahren trifft, sind diese restlos überfordert. "Das System bürdet all jenen Staaten in der Randlage Europas die gesamte Verantwortung auf, während sich die reicheren und mit Flüchtlingsschutz erfahreneren Länder in der Mitte die Hände in Unzuständigkeit waschen", kritisiert Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich.

Mit Jahresende 2010 stoppten praktisch alle EU-Staaten ihre Abschiebungen nach Griechenland, da das Asylsystem dort völlig kollabierte und heftige Menschenrechtsverletzungen zu Tage kamen. "Die österreichischen Behörden konnten sich aber bisher zu keiner offiziellen Erklärung durchringen, dass Abschiebungen nach Griechenland auf Dauer ausgesetzt werden," so Riedl. Stattdessen würden weiterhin "vertiefte Einzelfallprüfungen" angewandt, obwohl seit Jahresbeginn niemand mehr nach Griechenland zurückgeschoben wird.

Menschenrechte haben für alle zu gelten

Herrn H.‘s Abschiebung aus Österreich fiel noch in die Zeit, in der Asylsuchende gemäß Dublin-Verfahren nach Griechenland zurückgeschickt werden konnten. Nachdem Herr H. nun neuerlich in Österreich um Asyl angesucht hat, wurde aber wieder von Österreich bei den griechischen Behörden um eine Rücküberstellung nach Griechenland angesucht. „Wir glauben aber, dass das Verfahren von Herrn H. irgendwann in Österreich zugelassen werden wird und nicht tatsächlich eine Abschiebung bevor steht," hofft Riedl.

„Wir hoffen auch, dass viele Abgeordnete zu der Erkenntnis kommen, dass der Fremdenrechtsnovelle nicht zuzustimmen ist," fasst Chalupka zusammen. „Es ist uns sehr wichtig, die Ernsthaftigkeit dieses Umbruchs in Nordafrika zu sehen und hier entsprechend zu reagieren." Wenn Europa sich abschotte und seine Verantwortung nicht wahrnehme, untergrabe es seine Werte und das Fundament, von dem wir glauben, dass unsere demokratischen Gesellschaften darauf aufgebaut sind. "Diese Werte gelten nur dann, wenn sie für alle gelten, und nicht nur für eine Gruppe, die wir definieren. Das ist die Definition der Menschenrechte und diese haben für alle zu gelten." (Jasmin Al-Kattib, daStandard.at, 22. April 2011)