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Ungarn protestieren gegen die neue Verfassung. Die sei nicht für das Volk gemacht, sondern für die Fidesz-Partei, sagen Kritiker.

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Debreczeni: "Mit der Verfassung sichert sich die Fidesz langfristig die Macht"

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Im Gespräch mit Krisztina Koenen skizziert er, wie rechtstaatliche Prinzipien ausgehebelt wurden und was die Wirtschaft fürchten muss.

Standard: Ungarn hat eine neue Verfassung. Ein Grund zur Freude?

Debreczeni: Keineswegs. Mit der neuen Verfassung sichern sich Ministerpräsident Viktor Orbán und die von ihm angeführte Partei Fidesz langfristig die Macht. Besonders symbolträchtig ist, dass Ungarn laut Verfassung nicht mehr Republik heißen – und offensichtlich auch nicht mehr sein soll. Die Einschränkungen der Befugnisse des Verfassungsgerichts wiegen besonders schwer: Bürger werden sich nicht mehr selbst ans Gericht wenden können.

Standard: Schon vor der Verabschiedung der Verfassung schrieben Sie in einem Artikel, in Ungarn könne man die Entstehung einer Autokratie beobachten.

Debreczeni: Die Autokratie haben wir bereits. Ministerpräsident Viktor Orbán hat die bei den Wahlen gewonnene Zweidrittelmehrheit dazu missbraucht, die Führungspositionen all jener Institutionen mit engen Parteifreunden zu besetzen, die eigentlich die Aufgabe hätten, die Regierung zu kontrollieren und ein Gegengewicht zu ihr zu bilden. So kommt es, dass das System der demokratischen Institutionen formell noch vorhanden ist, de facto jedoch wie eine Autokratie funktioniert.

Standard: Aber es gibt ein gewähltes Parlament. Wo sehen Sie denn Zeichen für Machtmissbrauch?

Debreczeni: Es stimmt, das Parlament gibt es noch. Aber es werden neue Gesetze wie vom Fließband verabschiedet. Gesetzesvorschläge werden nicht von der Regierung eingereicht, sondern von einzelnen Abgeordneten. So kann eine parlamentarische und öffentliche Debatte der neuen Gesetze vermieden werden. Selbst Verfassungsänderungen oder auch das umstrittene neue Mediengesetz wurden auf diese Art verabschiedet. Oder Gesetze erhalten eine rückwirkende Gültigkeit, was dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit widerspricht. So geschehen im Fall der Strafsteuern für Banken, der Sondersteuer für Telekom-, Einzelhandels- und Energieunternehmen oder auch der rückwirkenden Erhöhung der Steuern auf Abfindungen auf 98 Prozent, sofern sie zwei Millionen Forint (etwa 5400 Euro) übersteigen. Diese Praxis ist vom Verfassungsgericht abgelehnt worden.

Standard: Das heißt doch, das Verfassungsgericht tut seine Arbeit.

Debreczeni: Leider nein. Denn seine Befugnisse sind eingeschränkt worden, nachdem es Einspruch gegen dieses letztgenannte Gesetz erhoben hatte. Und inzwischen darf sogar eine Person wie István Stumpf Verfassungsrichter werden, der nicht einmal eine juristische Ausbildung hat, aber zu den engsten Vertrauten des Ministerpräsidenten zählt.

Standard: Wie wirkt sich all das auf das wirtschaftliche Klima aus?

Debreczeni: Für die Wirtschaft wirkt sich besonders negativ aus, dass es die Regierung selbst ist, die die rechtsstaatlichen Normen verletzt. Es gibt noch andere Beispiele: Der Staat hat die Ersparnisse der privaten Rentenkassen de facto enteignet und die Versicherten dazu gezwungen, in die staatliche Versicherung zurückzukehren. Die Katastrophe durch den Dammbruch eines Beckens mit Bauxit-Klärschlamm nahm die Regierung zum Anlass, ein Gesetz zu verabschieden, wonach sie durch eine einfache Verordnung das Verfügungsrecht über jedes Unternehmen einem Regierungsbeauftragten übertragen kann – ohne dafür eine konkrete Begründung nennen zu müssen.

Standard: Müssen ausländische Investoren befürchten, dass sie enteignet oder unter staatliche Kontrolle gebracht werden?

Debreczeni: So weit geht die Regierung nicht. Aber sollten Haushaltsdefizit und Staatsschulden weiter wachsen, wird sich ihre Gangart sicher noch verschärfen.

Standard: Profitiert die Fidesz direkt von der staatlichen Willkür?

Debreczeni: Es ist wie im Wasserball: Man sieht nur das, was sich an der Wasseroberfläche abspielt, den Rest vermutet man. Aber manchmal erfährt man doch etwas. Wie im Falle der Firma Esma, eines Unternehmens, das Anzeigenflächen verkauft. Ihr Hauptkonkurrent ist ein Unternehmen, das Lajos Simicska, einem der engsten Vertrauten von Viktor Orbán gehört. Die Tageszeitung Népszava berichtete unlängst: Nachdem Simicska versucht hatte, die Unternehmensmehrheit von Esma praktisch umsonst zu übernehmen, dies jedoch vom Besitzer abgelehnt wurde, verabschiedete das Parlament Ende 2010 ein Gesetz, das die Aufstellung von ebensolchen Reklametafeln verbietet, die zur Geschäftsgrundlage von Esma gehören. Es geht zu wie bei der Mafia. (Krisztina Koenen, STANDARD-Printausgabe, 23./24./25. April 2011)