Es gibt kaum stärker überzeugte Europäer als die Franzosen und Italiener - doch ausgerechnet sie sägen an einer der wichtigsten EU-Errungenschaften: dem barrierefreien Reisen. Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi wollen das Schengener Abkommen "anpassen", wie sie sagen. Im Klartext: Kontrollen, wann immer es ihnen beliebt.

Erst im Jänner hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte es nordeuropäischen Staaten untersagt, über Griechenland in die EU eingereiste Flüchtlinge nach Athen abzuschieben. Damit hebelte das Straßburger Gericht eine zentrale Bestimmung des EU-Asylrechts aus: Ihm zufolge müsste der "Erststaat", in dem Fall also Griechenland, definitiv über Asylgesuche befinden.

Nun stellen Paris und Rom die Schengener Freiheit direkt infrage. Die Flüchtlingswelle aus Nordafrika bietet einen aktuellen Anlass, doch in Wahrheit ist das Abkommen bürgerlichen Regierungen schon lange ein Dorn im Auge.

Klar ist, dass nach dem Euro ein zweiter, sehr konkreter und zugleich hochsymbolischer EU-Pfeiler ins Wanken gerät: die Reisefreiheit von 400 Millionen Europäern. Das muss nicht das Ende der Europäischen Union bedeuten. Aber nach ihrer fulminanten Ausdehnung über Jahrzehnte zeigt die neue Grenzdebatte, wie sehr die EU selbst an ihre Grenzen gestoßen ist. Und weder Sarkozy noch Berlusconi noch andere EU-Spitzen scheinen sich groß daran zu stoßen - trotz aller Europa-Bekenntnisse. (Stefan Brändle, DER STANDARD; Printausgabe, 27.4.2011)