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Istanbul - Vergangenen Herbst war er noch als Zeitungsente abgetan worden. Doch jetzt, mitten im türkischen Parlamentswahlkampf, ist der Zeitpunkt für die Enthüllung des Geheimplans gekommen, von dem immer nur als "Erdogans verrücktem Projekt" geraunt wurde: ein neuer Kanal vom Schwarzen Meer zum Marmarameer, parallel zum Bosporus. "Wir krempeln unsere Ärmel auf für den Istanbul-Kanal, eines der größten Projekte seit Jahrhunderten, das den Panama- und den Suezkanal überstrahlen wird", verkündete der türkische Regierungschef am Mittwoch bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Millionen-Metropole.

40 bis 45 Kilometer lang, 25 Meter tief, 150 Meter breit soll der neue Kanal werden. Das Ziel: Entlastung des Bosporus, durch den jährlich rund 50.000 Schiffe auf dem Weg zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer ziehen, sowie Wegfall teurer Wartezeiten. Öltanker und Frachtschiffe mit chemischer Ladung sind über die Jahre zu einem erheblichen Risiko für Istanbul geworden. Der Bosporus ist an seiner engsten Stelle 750 Meter breit. 140 Millionen Tonnen Öl im Jahr werden durch die Wasserstraße befördert, die wegen ihrer Windungen für große Containerschiffe noch zusätzlich gefährlich ist.

Der neue Kanal soll am Westrand der Provinz Istanbul bei der Stadt Silivri am Marmarameer beginnen und durch den gleichnamigen Landkreis Silivri und den anschließenden Kreis Catalca pfeilgerade zur Schwarzmeerküste führen. Der europäische Teil Istanbuls würde damit zu einer Insel. Völkerrechtlich dürfte der Istanbul-Kanal eine neue Frage aufwerfen. Denn über den Bosporus hat die Türkei seit der Konvention von Montreux von 1936 nur eingeschränkte Souveränität. Zu den Baukosten für den Kanal nannte Erdogan keine Zahlen. Mit der Planung, die zwei Jahre dauere, würde aber sogleich begonnen. Ein dritter Flughafen für Istanbul sowie zwei Trabantenstädte sollen auf der neuen Insel entstehen. An der "Strahlkraft" muss jedoch noch gearbeitet werden: der Panama-Kanal ist 81,6 km, der Suezkanal 162,25 km lang. (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.4.2011)