Also einmal angenommen drei inspirierte Herren wie Allen Ginsberg, Jack Kerouac und William S. Burrough würden sich heute für einige Zeit in Istanbul statt in Tanger niederlassen und schreiben, was sie schrieben - was würde da die türkische Justiz tun? Sehr wahrscheinlich natürlich nichts, wenn sich die Herren nicht allzu daneben benehmen. Das nennt man dann multikulturelle Stadt und modern und tolerant. Aber wenn jemand auf die Idee käme, „Naked Lunch" oder „Soft Machine" ins Türkische zu übersetzen und in Läden feilzubieten! Also da haben wir schon ein Problem. Da ist dann erst einmal Schluss mit modern und tolerant.

Burroughs „Naked Lunch" (1959) kam im März erstmals in türkischer Übersetzung im Verlag Versus auf den Markt. „Soft Machine" (1961), der erste Band der Nova-Trilogie, war im Januar von Sel Yayıncılık herausgebracht worden und hat gleich Bekanntschaft mit der Istanbuler Staatsanwaltschaft gemacht. Ermittelt wird nun, ob "Yumuşak Makine"/"Soft Machine" die Moral der Türken beleidigt. Unter anderem das soll der "Ausschuss im Amt des Premierministers für den Schutz von Kindern vor schädlichen Veröffentlichungen" befunden haben. Der türkische Nachrichtensender NTV berichtete zu Wochenbeginn darüber und zitierte aus der Stellungnahme des Verlags:

"Es ist unverständlich, wie man darauf bestehen kann, Bücher für Erwachsene zu beurteilen, indem man sie in "Kinderausschüsse" schickt. Aus dieser Perspektive betrachtet kann man viele Berichte über Medienprodukte schreiben wie Nachrichten oder über 1000 andere Bücher. ... Die Tatsache, dass ein weltweit bekannter und anerkannter Autor wie William S. Burroughs von einer Gruppe im Amt des Premierministers untersucht wird, die frei von Künstlern, Literaturkritiker oder Übersetzern ist, hat an sich schon zu einer "monströsen" Situation geführt."

"Monströs"/"ucube" ist dabei ein Signalwort. Regierungschef Erdogan hat es benutzt, als er die Statue von Mehmet Aksoy in Kars kritisiert und ihren Abriss wünschte, der dieser Tage auch erfolgt.

Natürlich haben die Verbotsanträge keine große Zukunft. Weil es Verleger wie Irfan Sancı (Sel Yayıncılık) gibt, werden ein paar pädagogische Kurven mehr im türkischen Justizwesen gedreht, bis der Richter entweder die Lust verliert oder aber eine Verurteilung später durch ein Berufungsgericht aufgehoben wird und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einem Verleger Recht gibt. Bei Rahmi Akdaş war das 2010 der Fall. Er hatte Guillaume Appollinaires „Die 11.000 Ruten" auf den türkischen Markt gebracht. Die Straßburger Richter entschieden Jahre später, die Türkei habe mit der Konfisizierung der Bücher der Öffentlichkeit ein Stück europäischer Kultur vorenthalten. Was Frankreich zugegebenermaßen mit diesem schrägen Werk bis in die 1970er- Jahre auch tat...