Das junge britische Songwriter-Dubstep-Wunderkind James Blake eröffnete in Krems das heurige Donaufestival.

Foto: Robert Newald

Intime Balladen zwischen abgründigen Dubstep-Bässen und Klavierschule.

Krems - Wenn europäische Thronerben es einmal so richtig krachen lassen und Polterabend feiern, ohne dass beim Rocken die Frisur verrutscht, klingt das ungefähr so. Auf der Bühne der Minoritenkirche zu Krems/Stein sehen wir drei etwas erlebnisarm wirkende junge Menschen aus London, denen man die Weltmetropole und deren neueste Trendsportarten aus dem Bereich Red Bull, Kiffen, Songwriter-Dubstep und Amboss-Gliding gar nicht anmerkt. James Blake, der Mann am Klavier, Keyboards und der Start/Stop-Taste sowie dem verdammten Mikrofon, das nur herumsteht, damit man nichtssagende Zweizeiler hineinschnöselt, gilt derzeit innerhalb der Weltjugend als unfassbar angesagtes Wunderkind.

Führt er doch auf seinem heuer erschienenen, namenlosen Debütalbum auf wundersame Weise unvereinbare Stile wie zur Zeitlupe herunterdeklinierten Dub und dessen tektonische Wobbel- und Blubberbässe mit einem Liedgut zusammen, das man autobiografisch seit Jahrzehnten erfolgreich verdrängt hatte. James Blake schafft es, Melodien aus dem Katholische-Jungschar-Sektor "Die Erde ist schön, es liebt sie der Herr" oder "Kommt, sagt es allen weiter" derart zeitgenössisch aufzuladen, dass niemandem auffällt, wie hoffnungslos wertkonservativ das eigentlich klingt. Was du ererbt von deiner Mutti, erwirb es, um es zu besitzen.

Die Technik dabei heißt Reduktion. Immerhin wäre es selbst heute, im Zeitalter des Anything-goes-Download reichlich uncool, wenn man aus der Plattensammlung der Eltern ausgerechnet künstlerisch Wertvolles wie Stevie Wonder oder Joni Mitchell zieht, Text und Noten googelt und das mit der Klavierlehrerin wochenlang eins zu eins in Zeitlupe nachstellt.

Gemach, gemach

Zeitlupe und Reduktion deshalb, weil man in ihr zwar ebenso exakt spielen muss wie bei einem richtigen Stevie-Wonder-Lied, andererseits schon auch mehr Zeit zum Umgreifen auf einen anderen Akkord hat. Wenn man nicht gerade die Tochter von Madonna ist: Das geht gar nicht. Heutzutage gilt es unter einfacheren, zumindest bis in den ersten Studienabschnitt akademisch gebildeten Leuten als ästhetisches Must, sich auf das harmonische Grundgerüst zu beschränken. Die Finger kleben auf den Tasten mit den Grundakkorden. Der Schlagzeuger versucht wie ein Fernfahrer, zwischen den Schlägen dem Sekundenschlaf zu entkommen. Der Gitarrist zählt während des einstündigen Auftritts seine Euros per Minute. Die kolportierte Abendgage beträgt Dingskomma und dann zusätzlich dreißig Mille. Dafür dienen Supermarktangestellte der Gesellschaft das ganze Jahr über an der Wursttheke.

Mit angenehmer, auf keinen Fall emotional aufgeladener Nuschelstimme interpretiert James Blake Versionen von Feists Ballade Limit To Your Love und Joni Mitchells auch nicht gerade anschiebendem Klassiker A Case Of You. Das dringend zur Anteilnahme bereite Publikum dankt es ihm mit jener Begeisterung, die immer nur dann entstehen kann, wenn auch im Avantgardistischen Melodien zu finden sind, die man zumindest mit geschlossenen Lippen mitsingen kann.

James Blake wird nach Sensationsgastspielen im Berliner Technohimmel Berghain oder jetzt beim Donaufestival in Krems weiter an seinen Klavierkünsten feilen. Irgendwann wird er den spätestens seit Großmutter Cher und ihrem käsigen Welthit Believe von 1998 umgehenden, die Stimme zur Quietschente machenden Autotune-Gesangseffekt wegwerfen und Autoren-Dubstep-Position beziehen: "Do you belie-hie-hieve in love after love?"

Und vielleicht schreibt ihm die Mama bis dahin auch ordentliche Singtexte ins Stammbuch. "My brother and my sister don't speak to me, but I don't blame them." Das greift als vollständiger Songtext doch etwas zu kurz.

Wenn allerdings die unterirdischen Bässe in die Magengrube fahren - James Blake neigt bei aller vordergründigen Sanftmut durchaus zur sonischen Subversion -, dann klingt alles ganz herrlich. Die gefürchtete Rhythmusmesse einmal anders. Die Erde ist schön. Es liebt sie der Herr. (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 30. April/1. Mai 2011)