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In Vietnam ist Alfred Riedl dreimal Teamchef gewesen, quasi eine Weltsensation.

Foto: AP/Longstreath

Wien - Auf den Irak hat Alfred Riedl glatt vergessen. Kann passieren. Es gibt eben Lebensläufe, im konkreten Fall ist es Riedls Lebenslauf, die sind dick und unübersichtlich. Da muss der gebürtige Blumauer im weltweiten Internet suchen. "Sekunden später ist die Erinnerung da." Der 61-jährige Riedl war tatsächlich ein paar Monate Trainer im Irak. Bei einem Zweitligisten. "Dabei habe ich geglaubt, dass es ein Erstligist ist." Die mit anti-amerikanischen Parolen beschmierten Hausmauern in Bagdad haben sich eingeprägt. "Aber zu mir sind die Leute immer freundlich gewesen."

Alfred Riedl sitzt in seinem Stammbeisl. Es liegt direkt an der Bundesstraße 17 bei Gumpoldskirchen, eingepfercht zwischen einer Tankstelle und einem Landpuff. Es mag kuscheligere Gegenden geben, aber der Wirt ist erstens ein Haberer, und die Freundesrunde unternimmt zweitens keine ausgedehnten Wanderungen. Auf Sehenswürdigkeiten pfeift sie auch. "Ich habe schon genug Sehenswürdigkeiten gesehen", sagt Riedl. Ein Spezi kommt, umarmt Riedl, fragt, warum er nicht in Indonesien sei. "Bin eh bald wieder dort, momentan hab ich Urlaub, es gibt gerade keinen Verbandspräsidenten." Riedl geht davon aus, "dass ich nach wie vor Teamchef von Indonesien bin".

Rückblick. In den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts zählte Riedl zu den Topstürmern, mit der Austria wurde er Meister. Er wechselte nach Belgien zu Royal Antwerpen und Standard Lüttich, wurde Schützenkönig. Nach der Karriere sattelte er auf Trainer um, wurde vom ÖFB engagiert. Und dann passierte im September 1990 das legendäre 0:1 gegen die Färöer. Worauf Josef Hickerberger den Hut nahm und dessen Assistent Riedl zum Teamchef befördert wurde. Die Ära war an Erfolglosigkeit kaum zu überbieten, sie endete 1992. Riedl heuerte beim Zweitdivisionär FavAC an, der Klub ging finanziell baden. Und Riedl musste erkennen, "dass in Österreich kein Platz für mich mehr war. National hat mich die Zeit als Teamchef ruiniert, ich war abgestempelt. International hat sie mir geholfen." Der Mann wurde zum Weltenbummler. Notgedrungen. "Man muss ja arbeiten, um zu leben. Ich bin kein Abenteurer, höchstens neugierig."

Riedl hatte immer gute Freunde. Mag sein, dass das Jahr 1988 ein Vorgriff auf das spätere Leben gewesen ist. Walter Skocik, ein Haberer, war bei Ittihad Jeddah in Saudi-Arabien engagiert, er suchte einen Coach für den Nachwuchs. Und fand Riedl. Nach einem halben Jahr wurde er gestanzt. "Nach der ersten Niederlage. Die Scheichs haben keine Idee davon, was es heißt, Spieler zu entwickeln. Deshalb kommen sie im Fußball nicht weiter." Riedl hat einiges gelernt. "Zum Beispiel, dass es völlig normal ist, ein Training zu unterbrechen, weil die Spieler beten wollen."

1993 ist es richtig losgegangen. Marokko, der Klub heißt immer noch OCK. "Die schlimmste Zeit meines Lebens, wir sind abgestiegen. Ich wohnte in der Einöde, das war wie im Häfn. Und ich hatte einen Bandscheibenvorfall, habe im Liegen trainiert." Weiter nach Ägypten, er wurde gefeuert, weil das afrikanische Champions-League-Finale verloren wurde. 1996 wurde Riedl Sportdirektor beim iranischen Verband. "Irgendwie war ich dort nicht willkommen, ich bin halt kein Duckmäuser." Nix wie weg und nach Liechtenstein. Die wollten eigentlich Hickersberger als Teamchef, der verspürte kein Lust, schlug Riedl vor. "Für mich war das gut, ich hab damals meine heutige Frau kennengelernt, ich wollte näher bei ihr sein." Frau Riedl kommt aus Pottendorf in Niederösterreich. Und Vaduz ist eindeutig nicht ganz so weit weg wie Teheran.

Weitere Stationen: Teamchef in Vietnam, Vereinstrainer in Kuwait, wieder Teamchef in Vietnam. 2004 hat ein Freund angerufen. Riedl übersiedelte nach Palästina. Trainiert wurde in Ägypten. Er hätte Jassir Arafat treffen sollen, Riedl nahm den Termin nicht wahr. "Ich wollte mich nicht politisch instrumentalisieren lassen. Außerdem habe ich Freunde in Israel." Die Spieler sind aus diversen Ländern angereist, meist fehlten einige, sie durften Gaza nicht verlassen. "Oft war die Trainerarbeit auch Trauerarbeit."

2005 bis 2008 zum dritten Mal Vietnam. "Wir haben Südkorea 1:0 geschlagen. Eine Weltsensation." 2008 heuerte er in Laos an, Indonesien wurde 2:0 besiegt. "Eine Weltsensation." Indonesien engagierte 2010 jenen Mann, der das Land blamiert hatte. Und jetzt sitzt er im Stammbeisl an der Bundesstraße 17. Riedl liegt ein Angebot vom indischen Verband vor. "Ich bin am Überlegen, habe aber Bedenken. Ich habe schon so viel Armut gesehen, irgendwann hältst du das nicht mehr aus." Er, Riedl, sei demütig geworden. "Ich bin privilegiert, ich wurde überall mit Respekt behandelt. Ich verdiente immer so viel wie ein österreichischer Bundesligatrainer. Das reicht. Ich hab eine Niere transplantiert bekommen, das neue Organ funktioniert. Was will ich mehr? " In manchen Ländern würde er niemals arbeiten. "Wo geschossen wird, gehe ich nicht hin. Syrien oder Jemen werden mich nie bekommen."

Am schönsten, sagt Riedl, sei es übrigens daheim in Pottendorf. Ein Spezi kommt und umarmt ihn. (Christian Hackl, DER STANDARD Printausgabe, 30. April 2011)