In einem Land, wo ohne starke Proteste die beiden größten politischen Maschinerien, die schwarze in Niederösterreich, die rote in Wien, Transparenz bei Zeitungswerbung verweigern, hängt die demokratische Kultur an einem Kleiderhaken.

Das hat Ursachen in der Branche selbst. Wenn von der Jury eines Fachmediums der Leiter einer Gratiszeitung zum "Chefredakteur des Jahres" gewählt wird, sind die Beurteilungskriterien verrutscht. Wenn durchaus renommierte Chefredakteure für ein anderes Fachmagazin aus ihrer Mitte den "Besten" küren, ist die Kompetenz der Medienmacher infrage zu stellen.

In einem Land, wo man Qualität meist bei deutschen Medien verortet, ohne sie selbst zu lesen, ist die Unsicherheit groß, ob journalistisches Niveau mehr sei als Wortwitz und Kabarett. Inhalte? Meinung und Mut? Internationale Analysen?

Die Zusammenschau der Qualitäten schafft das Niveau. Die Aufdeckung von Skandalen ist ein Element, nicht das Ganze. Enthüllungen sollen für viele dabei sein. Das aber kriegt man auch im Boulevard, spätestens auf Seite 5. Sagt sich der Hinterbänkler.

Der liest ja keine Schwerpunktstrecken, kein ALBUM und kein Spektrum, keine Essays, die länger sind als ein "Kleiner Brauner". Da glaubt dann jemand aus dem Horizont, die Verwendung von APA-Texten als Niveauverlust geißeln zu können. Besser APA als Österreich.

Anlässlich des Tages der Pressefreiheit wird diese Woche auch in Wien wieder diskutiert. Im Parlament mit Schülern, bei den Zeitungsherausgebern mit den üblichen Verdächtigen.

Große Worte werden fallen, aber über die Deals zwischen Massenzeitungen und staatsnahen Konzernen, wo das Geld so richtig rollt, wird nicht geredet werden. Und vor allem nicht darüber, dass die bezahlten Texte für die Normalleser von redaktionellen Texten schwer (wenn überhaupt) zu unterscheiden sind.

Weil der Qualität auf diese Weise geschadet wird, hat das werbliche Investment einiger Konzerne einen doppelten Nutzen: Einerseits werden Botschaften ohne kritische Fragen oder Gegenpositionen transportiert. Andererseits werden dadurch die Scheren in den Köpfen der Redakteure nachgeschärft. Der Mut zu kritischem Journalismus sinkt.

Die Pressefreiheit wird beschädigt. Ohne dass ein übelwollender Diktator auftritt und Zeitungen verbietet. Ohne die Meinungsfreiheit einschränkende Gesetze wie in Ungarn. Ohne Verhaftung von Journalisten wie in der Türkei.

Und wo alter Glanz noch zum Lesen verführt wie bei Peter Michael Lingens im Profil, wird zu seltsamen Vergleichen gegriffen. Er ruft ÖVPler auf, es Michael Fleischhacker mit seiner Presse gleichzutun: eine "neue Volkspartei zu erfinden", so wie der "ein rechtsliberales Blatt mit wirklichem Format" geschaffen habe. Die Presse hat schon ganz andere Formate erlebt. Das Großbürgerblatt als neue Parteizeitung? Dagegen müsste sie sich wehren.

Parteien und Partei-Neugründer sollten Zeitungen lieber in Ruhe lassen. (Gerfried Sperl/DER STANDARD; Printausgabe, 2.5.2011)