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Rumänische Journalisten protestieren vor der ungarischen Botschaft in Bukarest gegen das Mediengesetz des Nachbarn - in der EU blieben die Reaktionen eher verhalten.

Foto: Reuters/RADU SIGHETI

Der 3. Mai ist der Medienfreiheit gewidmet - er ist ein Tag schlichter Fakten: 18 JournalistInnen und zwei MedienassistentInnen wurden seit Jahresbeginn ermordet: 20 Menschen also verloren in nur vier Monaten im Dienst der Pressefreiheit ihr Leben. 151 JournalistInnen und neun MedienassistentInnen sind seit 1. Jänner 2011 inhaftiert: Summa summarum sitzen 160 Medienmenschen hinter Gittern. Ebenso 128 sogenannte Netizens, zu Deutsch Internet-DissidentInnen.

Wie nach diesen schon jetzt besorgniserregenden Daten Ende 2011 die Jahresbilanz ausfallen wird, sei dahingestellt. Fest steht jedenfalls, dass seit Wochen niemand mehr über den Verbleib des chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo und dessen Frau Liu Xia Bescheid weiß. Dasselbe gilt seit 3. April für deren Landsmann Ai Weiwei, dem international gefeierten regimekritischen Künstler.

Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen, weiß der Volksmund. Auch innerhalb der EU gibt es medien- und damit demokratiepolitische Baustellen, die mehr als beunruhigend sind. EU-Justizkommissarin Viviane Reding nannte Ende Februar im Standard zumindest zehn EU-Mitgliedsstaaten, darunter auch Österreich, in denen es in Sachen Medienrecht, Presse- und Meinungsfreiheit nicht zum Besten steht. Zehn von 27, das ist keine Quantité négligeable, sondern fast die Hälfte dieser nach wie vor primär wirtschaftspolitisch orientierten Staatenunion.

Zensur und Geldstrafen

Anlass für Viviane Redings ernüchterndes EU-Resümee war das extrem restriktive neue ungarische Mediengesetz, das zeitgleich mit Ungarns EU-Ratsvorsitz am 1. Jänner dieses Jahres in Kraft trat. Ein Gesetz, das einer für neun Jahre gewählten Behörde die totale Kontrolle, sprich mögliche Zensur, über die gesamte Medienlandschaft in Ungarn einräumt sowie die Lizenz für schwindelerregend hohe, existenzbedrohende Geldstrafen für kritischen Journalismus.

Die Reaktion seitens der EU war zwar zunächst empört, im Kern jedoch windelweich. Der damalige österreichische EU-Parlamentarier Ernst Strasser begrüßte sogar ausdrücklich das neue ungarische Mediengesetz. Eine Krähe hackt bekanntlich nicht der anderen das ideologische Auge aus. Ungarn modifizierte leicht sein Mediengesetz, damit war die Sache erledigt. Leidtragend ist die ungarische Gesellschaft, die nun auf extrem nationale Werte eingeschworen wird. Mitten in Europa kann de jure freie Meinung eingeschränkt werden, auch Gedankenflüge könnten infolge dessen ihre Leichtigkeit verlieren.

Laut wurde in diesem Zusammenhang auch der Ruf nach einem gemeinsamen EU-Mediengesetz. Im Prinzip ist dies ein richtiges Ziel und theoretisch eine optimale Lösung. Realiter ist ein solches Projekt jedoch leider auch mit Fragezeichen zu versehen. Pressefreiheit, also Medienfreiheit fällt in den Komplex Menschenrechte. Diese sind Fundament gesunder Demokratien. Garantieren sie doch das Recht des Einzelnen und der Gesellschaft auf vielfältige Information und damit individuelle Urteilskraft, sprich politische Mündigkeit.

Eine Knebelung der Medienfreiheit käme im äußersten Fall einer kollektiven Verdummung oder Gehirnwäsche gleich. Nicht von ungefähr wurde deshalb die UN-Menschenrechtskonvention kurz nach dem Zweiten Weltkrieg des 20. Jahrhunderts formuliert und am 10. Dezember 1948 - seitdem internationaler Tag der Menschenrechte genannt - präsentiert: als Reaktion auf die Gräuel der damaligen menschenverachtenden Diktaturen. Inzwischen ist ein Menschenalter vergangen.

Ebenfalls 1948 beendete Eric Arthur Blair, besser bekannt als George Orwell, seinen Roman 1984, die Vision einer durch und durch kontrollierten Gesellschaft. Orwell lag mit seiner Ahnung richtig. Spätestens seit 9/11 hat auf der demokratiepolitischen Waage die Sicherung von Menschenrechten weitaus weniger Gewicht als sogenannte Sicherheitspolitik, sprich möglichst umfassende Kontrollen über Gesellschaften und Menschen. Datenschutz weicht Vorratsdatenspeicherung, über Mobiltelefone werden individuelle Standorte gepeilt, Gespräche werden legal oder illegal aufgezeichnet, auch E-Mails sind längst nicht mehr ausschließlich eine Privatangelegenheit.

Die EU-Justizkommissarin Viviane Reding fordert ein einheitliches EU-Mediengesetz. Die Frage, ob eine entsprechende gemeinsame europäische Judikatur tatsächlich die Situation der Medienfreiheit generell verbessern kann, muss derzeit offen bleiben. Es gibt auch Zweifler. Medienfreiheit fällt in den Korb Menschenrechte und Menschenrechte wiederum werden inzwischen als sogenannte Soft-Themen gehandelt.

Wir kennen das Bemühen der EU-Kommission um eine kluge und menschenwürdige EU-Regelung in Sachen Asylrecht. Die vorgegebene Richtung passt, sie scheitert jedoch an der mangelnden Kooperation der Mitgliedsstaaten. Nationale Politiker kochen, wie es scheint, lieber ihr an Tagespolitik und Wahlterminen orientiertes eigenes Süppchen. Der Eindruck entsteht, dass jedweder zukunftsorientierter Blick über nationale Tellerränder sorgsam, vielleicht auch nur ängstlich vermieden wird.

Wenig Gemeinsamkeit

Stünde bei den Mitgliedern der EU tatsächlich Gemeinsamkeit in allen Bereichen im Vordergrund, wäre auch das aktuelle Flüchtlingsproblem leicht zu lösen gewesen. Mit dem Projekt einer weitsichtigen gemeinsamen Flüchtlingspolitik kommt die EU angesichts des Widerstands ihrer Mitgliedsstaaten jedoch offenbar nicht weiter. Was käme unter diesen Umständen bei dem Vorhaben eines EU-Mediengesetzes heraus? Die Vorstellung, ein Silvio Berlusconi könnte auch hier mitreden, ist nicht erheiternd.

Medienfreiheit ist ein Synonym für individuelle Informationsfreiheit und Meinungsbildung. In diesem Sinne schreibt Reporter ohne Grenzen den diesjährigen "Press Freedom Award - Signal für Europa" für Kolleginnen und Kollegen in Ungarn aus. (Rubina Möhring/DER STANDARD, Printausgabe, 3.5.2011)