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Die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Zöliakie bietet Mitgliedern Einsicht in Broschüren, die über 8.000 glutenfreie Produkte auflisten.

Foto: APA/Peter Endig

Einfach, aber wirkungsvoll: „Die Zottenatrophie der Zöliakie ist unter glutenfreier Ernährung vollkommen reversibel", so Harald Vogelsang, Leiter der Spezialambulanz für Zöliakie am Wiener AKH, und bezeichnet die Zöliakie als Veranlagung und nicht als Erkrankung. Eine Diät als alleiniges Heilmittel? Das klingt zu schön, um wahr zu sein und ist für viele betroffene Patienten trotzdem nicht genug. 

Reisschleim statt Haferflockensuppe, Hirselaibchen statt Weizenbrot - Der konsequente und lebenslange Verzicht auf viele Nahrungsmittel ist eben nicht jedermanns Sache, und so bemühen sich Forscher seit Jahren Medikamente ins Spiel zu bringen. Das gestaltet sich schwierig, denn als Behandlungsmethode ist die glutenfreie Ernährung praktisch unschlagbar, richtet sie sich doch exakt gegen das zugrunde liegende Problem - die fehlerhafte Reaktion af Gluten im Dünndarm.

Unverträgliches Gluten

Menschen mit Zöliakie reagieren überempfindlich auf Gluten, ein Getreideprotein, das in Weizen, Gerste, Roggen, Hafer, Dinkel und Grünkern enthalten ist. Kommt das Klebereiweiß Gluten mit der Dünndarmschleimhaut der Erkrankten in Berührung, dann gehen die Zotten zugrunde. Diese feinen Ausstülpungen der Dünndarmschleimhaut machen 95 Prozent der Darmoberfläche aus und dienen der Aufnahme diverser Nahrungsbestandteile. Ohne Zotten ist diese Resorption gestört. Die Folgen sind gravierend. 

Im Kindesalter fällt die Zöliakie in der Regel dann auf, wenn der Übergang von der glutenfreien Muttermilch hin zur glutenhältiger Formulanahrung erfolgt. Die kleinen Patienten leiden unter Durchfall und Gewichtsverlust und fallen Kinderärzten durch aufgeblähte Bäuche und einen sogenannten Perzentilenknick auf. Das bedeutet: Im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern ist das Körpergewicht und die Körpergröße der erkrankten Säuglinge verringert. Verantwortlich für diese Entwicklung ist der Mangel an Vitaminen, Kalzium, Eiweiß und anderen Mikronährstoffen.

Aktiv oder stumm

40 Prozent der erkrankten Kinder präsentieren diese aktive Form der Zöliakie und sind auch der Grund warum die glutensensitve Enteropathie noch vor 20 Jahren als reine Kinderkrankheit betrachtete wurde. Niemand ahnte damals, wie weit verbreitet die Erkrankung tatsächlich ist und wie viele Erwachsene auch unerkannt davon betroffen sind. „Erst in den letzten Jahren ist man draufgekommen, dass die Zöliakie ganz unterschiedliche Ausprägungen zeigt", so Vogelsang, der vor 25 Jahren gerade mal 30 Patienten mit Zöliakie behandelte. Mit einer Prävalenz von 1/10000 zählte die Zöliakie damals zu den seltenen Erkrankungen. Heute gehen Experten weltweit von einer Krankheitshäufigkeit von 1/100 aus. 

So simpel die Therapie, so komplex ist also das klinische Bild einer Zöliakie und so langwierig oft der Weg hin zur Diagnose. Der Begriff Zöliakie-Eisberg wurde geprägt. Seine Spitze schwimmt sichtbar auf der Wasseroberfläche und wird von jenem Anteil der Erkrankten gebildet, die aufgrund ihrer Symptome leicht zu erkennen sind. Viel häufiger und wesentlich schwieriger zu diagnostizieren, weil stumm oder uncharakteristisch, ist der unter dem Wasser befindliche Anteil des Eisbergs. „Die Betroffenen zeigen oft kaum Bauchbeschwerden und kommen über eine Eisenmangelanämie, oder Osteoporose zur Diagnose Zöliakie", weiß Vogelsang.

Diätrefraktärer Verlauf

Auch die Dermatitis herpetiformis Duhring (blasenbildende Hauterkrankung, Anm. Red.), Lymphdrüsenkrebs im Dünndarm, Diabetes Typ 1, und Früh- bzw. Fehlgeburten werden mit der Zöliakie assoziiert. Langzeitfolgen, die sich Zöliakie-Patienten bei frühzeitiger Diagnose meist ersparen könnten. 

Asymptomatische Verläufe lassen Mediziner jedoch oft jahrelang im Dunkeln tappen. Die frühe Diagnose ist deshalb in Fällen noch nicht Realität. Zwar werden mit Hilfe serologischer Antikörpertests und nachfolgenden Gewebebiopsien bereits 60 Prozent aller stummen Verläufe als Zöliakie identifiziert - nur leider häufig erst im Erwachsenenalter. „Erfolgt die Diagnose erst im 50. oder gar 60. Lebensjahr, dann leiden viele Betroffenen bereits an einer Folgeerkrankung und besitzen außerdem mitunter das Risiko, dass es auch unter glutenfreier Diät zu keiner Abheilung mehr kommt", weiß Vogelsang und setzt deshalb verstärkt auf die Sensibilisierung niedergelassener Ärzte. 

Kleine Verdachtsmomente müssen wahrgenommen und hinterfragt werden. Die voreilige Verordnung einer Diät ohne Sicherstellung der Diagnose hält er aber für einen groben Fehler: „Die Antikörper im Blut sind dann nicht mehr verwertbar, die Gewebeuntersuchung ist verwischt und für die Betroffenen sind wieder unangenehme Glutenbelastungen nötig". (derStandard.at, 03.05.2011)