Laibach - Von seinem Rechtsvertreter begleitet begibt sich der frühere slowenische Staatspräsident Milan Kucan nach Den Haag, um am Mittwoch vor dem internationalen Gerichtshof als Zeuge der Anklage im Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic einvernommen zu werden. Der Einladung folgte er, wie offiziell mitgeteilt wird, weil slowenische Staatsbürger auf Grund der slowenischen Gesetzgebung zur Mitarbeit mit diesem Gericht verpflichtet seien.

Großes Interesse

Die slowenische Öffentlichkeit widmet diesem Ereignis großes Interesse. Kucan wurde innerhalb eines Jahres zwei Mal von Vertretern des internationalen Gerichtshofes besucht und über die Umstände, die vor mehr als zehn Jahren zum Zerfall des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens und des jugoslawischen Staates selbst geführt haben, befragt. Ob ihn die Haager Anklägerin Carla del Ponte auch in Haag als Zeugen sehen wollte, wie das beim kroatischen Präsidenten Stjepan Mesic der Fall war, blieb lange ungewiss. Die Anklage bezieht sich auf Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien und Kosovo, also wurde eher angenommen, dass eine slowenische Zeugenaussage nicht notwendig ist. Die Entscheidung, Kucan doch zum Prozess einzuladen, fiel erst im April.

In den Medien und in den Aussagen der Rechtsexperten überwiegt die Meinung, dass sich die Haager Anklage in "Beweisnot" befinde und dass der Prozess gegen Milosevic "anders als vorgesehen" enden könnte. Auch soll sich "international" das Gefühl verbreiten, dass das Verfahren schon zu lange dauere. Die weiteren Einvernahmen, so auch die des ehemaligen slowenischen Staatschefs, sollen zusätzliche Beweise für die entscheidende Rolle des serbischen Politikers in allen kriegerischen Auseinandersetzung in den dramatischen Jahren des Zerfalls Jugoslawiens und danach liefern. Kucan werde allerdings nur darüber Auskunft geben können, was er als einer der führenden politischen Persönlichkeiten Jugoslawiens bis zur Unabhängigkeitserklärung Sloweniens im Jahre 1991 selbst erlebt habe, heißt es.

Internationales Recht

Aber "Milosevic als sein eigener Verteidiger wird Kucan fragen können, was immer ihm einfällt", sagt der Laibacher Experte für internationales Recht, Ljubo Bavcon. Man erwartet, dass er zu beweisen versuchen wird, Slowenien sei mit seinem Unabhängigkeitsdrang für den Zusammenbruch Jugoslawiens und alle weiteren tragischen Ereignisse zumindest mitverantwortlich. Der Historiker Bozo Repe meint, auch in westlichen politischen und diplomatischen Kreisen herrsche noch immer eine ähnliche Auffassung und Milosevic werde die Gelegenheit wahrnehmen, diese längst für falsch erkannte Theorie aufzufrischen. Er werde vermutlich auch einige Episoden des so genannten "Zehntagekrieges" im Sommer 1991 so darzustellen versuchen, als ob die slowenische Territorialverteidigung im Konflikt mit der Jugoslawischen Volksarmee ebenfalls Kriegsverbrechen begangen habe, um so zu seiner eigenen Entlastung beizutragen.

Informationen über eventuelle Vergehen

Kucan habe das Recht, sich auf alle Eventualitäten in der Konfrontation mit dem Angeklagten vorzubereiten, meint Bavcon. Sein briefliches Ersuchen an das slowenische Verteidigungsministerium, dieses möge ihn mit Informationen über eventuelle Vergehen slowenischer Verteidiger im "Zehntagekrieg" versorgen, damit er in Haag keine Überraschungen erlebt, sei berechtigt gewesen, sagt Bavcon. Durch gezielte Indiskretion gelangte dieser Brief Kucans allerdings in die Öffentlichkeit und der Verteidigungsminister aus dem Jahr 1991, Janez Jansa, jetzt Führer der konservativen Opposition im Parlament, benützte dies für Andeutungen, Kucan "zweifle" an der Korrektheit des damaligen Vorgehens der Territorialverteidigung.

Dieser Vorfall hatte jedoch keine Folgen für die Stimmung in der Öffentlichkeit, die von der Überzeugung beherrscht wird, dass Kucan als scharfsinniger und geistreicher Mann das Kreuzverhör mit Milosevic gut, jedenfalls besser als sein ehemaliger Kollege Mesic, überstehen wird. Diese Konfrontation, die voraussichtlich am Mittwochvormittag stattfindet, wird im slowenischen Fernsehen direkt übertragen. (APA)