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Im Leben die Balance zu halten, ist nicht immer einfach; psychische Krankheiten nehmen kontinuierlich zu.

Foto: AP/Michal Dolezal

Was motiviert ehrenamtliche Mitarbeiter zu ihrer freiwilligen Arbeit? Zeit ist rar, Zeit ist kostbar - und dennoch leisten 43,8 Prozent der österreichischen Bevölkerung ab 15 Jahren in irgendeiner Form Freiwilligenarbeit. Eine Organisation, in der die ehrenamtliche Tätigkeit seit Jahrzehnten tief wurzelt, ist "pro mente". Insgesamt 19 Mitgliedsorganisationen in den Bundesländern, die in die Dachorganisation "pro mente Austria" eingegliedert sind, unterstützen Menschen mit psychischen Problemen.

Die Mitarbeiter leisten Beratungs- und Betreuungsarbeit in verschiedenen Lebensbereichen: So gehören Jugendbetreuung, Suchtprävention und -beratung, berufliche Integration, tagesstrukturierende Beschäftigungs- und Freizeitangebote sowie das Betreuen von Wohneinrichtungen zum Tätigkeitsbereich. Insgesamt betreuen die einzelnen Institutionen rund 50.000 Menschen pro Jahr. "In unserer Organisation sind die Ehrenamtlichen ein wesentlicher Bestandteil - vor allem im gesellschaftspolitischen Kontext", sagt Walter Schöny, Präsident von pro mente Austria und ärztlicher Leiter des Wagner-Jauregg-Krankenhauses in Linz. Damit sei vor allem der Abbau von Vorurteilen gegenüber psychischen Krankheiten gemeint, die nach wie vor in vielen Köpfen haften. "Auch heute ist es noch leichter seinem Arbeitgeber mitzuteilen man habe eine Lungenentzündung, als eine Depression", betont der Mediziner. Die freiwilligen Helfer fungieren oft als das einzige Verbindungsglied zwischen der hilfesuchenden Person und dem Rest der Gesellschaft, da sie mitten im Gesellschaftsleben stehen. "Die freiwilligen Mitarbeiter tragen wesentlich dazu bei, Vorurteile abzubauen indem sie auf die Problematik des psychischen Krankseins aufmerksam machen. Sie stehen öffentlich dazu, psychisch Kranke zu unterstützen - und das ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit", so Schöny.

Kranke Seelen

Pro mente wurde Mitte der 1960er Jahre gegründet. "Damals hätten wir nie gedacht, wie groß die Organisation einmal werden würde. Der Bedarf ist gegeben und wächst weiter", so der Mediziner. Die Zahlen geben ihm recht. Psychische Erkrankungen sind in Österreich wie auch in der gesamten EU auf dem Vormarsch. Mehr als jeder vierte erwachsene EU-Bürger war im Vorjahr von zumindest einer psychischen Erkrankung betroffen - Depression führen die Liste an. Die Zahl der krankheitsbedingten Frühpensionierungen hat sich in Österreich seit den 1990er Jahren verdreifacht - aber immer öfter ist es nicht der Körper, der nicht mehr mitmachen will. Mittlerweile gehen fast genauso viele Menschen wegen psychischer Beschwerden krankheitsbedingt in Frühpension wie aufgrund körperlicher.

Institutionen, die sich der mentalen Gesundheit annehmen, verschaffen sich immer öfter durch wirtschaftliche Argumente Gehör, verhallen doch die gesundheitlichen nur allzu schnell. Der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie kritisierte kürzlich die aktuelle Entwicklung im Präventions- und Therapiebereich psychischer Krankheiten und forderte rasche und effiziente Gegenmaßnahmen wie rechtzeitige Psychotherapie und Rehabilitationsmaßnahmen, denn gerade bei seelischen Krankheiten gingen Betroffene besonders früh in Pension; das Durchschnittsalter liegt bei 50 Jahren. Ein Faktor, der wirtschaftlich nicht unter den Teppich gekehrt werden könne. Und auch anlässlich des Europäischen Psychiatriekongresses im März dieses Jahres in Wien beanstandeten Experten, dass in Zeiten von Einsparungen Innovationen im Bereich der Therapie psychischer Erkrankungen nicht immer ihren Weg zum Patienten finden, obwohl diese im Vergleich zu allen anderen Erkrankungen die größte Neuerkrankungsrate aufweisen.

Neue Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt - Stress, Druck und Mobbing - wirken sich zunehmend auf die Psyche aus. "Einerseits haben Menschen heute öfter den Mut, sich einzugestehen, dass sie psychisch krank sind, andererseits ist ein Anstieg an belastenden Faktoren zu beobachten", erklärt Schöny die steigende Zahl an diagnostizierten psychischen Erkrankungen. Die inadäquate Betreuungssituation von Patienten, die im Zuge von Diskussionen über psychische Krankheiten nahezu immer aufkommt, solle und dürfe aber nicht durch das Ehrenamt ausgemerzt werden. „Die Laienhilfe kann die bezahlte Erwerbsarbeit, das Profitum, nicht ersetzen. Das freiwillige Engagement ist eine zusätzliche Bereicherung für die soziale Qualität - sprich für die Betroffenen", so Schöny. Eine Tatsache, auf die auch die Europäische Kommission aufmerksam machte, indem sie für 2011 das Europäische Jahr der Freiwilligenarbeit ausrief.

Sie schenken Zeit

Bei den pro mente-Institutionen kommen sich professionelle Helfer und Laienhelfer nicht in die Quere, die Arbeitsbereiche sind klar abgegrenzt: Ehrenamtliche werden ausschließlich für soziale Aktivitäten eingesetzt, in die direkte Betreuung sind sie nicht eingebunden - dafür sind speziell ausgebildete Mitarbeiter zuständig. Die Freiwilligen bewegen sich im privaten Umfeld der Hilfesuchenden, in dem die Profis grundsätzlich nichts verloren haben. Die soziale Begleitung zielt darauf ab, Betroffenen beim Aufbau und Erhalt einer aktiven Lebensgestaltung zu helfen, gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und der sozialen Isolation entgegenzuwirken. Ehrenamtliche gehen mit den zu Betreuenden ins Kaffeehaus, ins Kino oder Spazieren. Sie sind da, um Gesellschaft zu leisten und mit Betroffenen - wenn diese wollen - über ihre Probleme zu reden. Daraus soll eine vertrauensvolle Beziehung entstehen und Selbsthilfe wie auch Eigenverantwortung gefördert werden.

Die Betreuungsverhältnisse bestehen in der Regel relativ lange - oft über Jahre hinweg. Es entstehen Bindungen, die sich nur durch Zeit festigen können. Der Vorteil für die Betreuten ist ersichtlich. Doch was haben die ehrenamtlichen Mitarbeiter davon? Schöny: "Die soziale Unterstützung trägt wesentlich zur persönlichen Entwicklung der freiwilligen Helfer bei, das sind Lernprozesse für das tägliche Leben. Wir leben in einer Gesellschaft, in der sehr viel Sinnentleerung stattfindet, die Begleitung psychisch Kranker ist eine direkte Hilfestellung auf Augenhöhe, die nicht nur den Betreuten, sondern auch den Betreuern sehr viel gibt." (urs, derStandard.at, 04.05.2011)