"Was man in Österreich beobachten kann - auch bei Unibrennt - ist die Kultur des Aussitzens. Faymann hat sich kaum zu Wort gemeldet."

Foto: rwh/seb/derStandard.at

"Dass wir politisch weiterarbeiten werden, liegt auf der Hand."

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"Ich habe gelernt, überzeugt für eine Sache einzustehen und nicht zu kuschen wenn ein Bundeskanzler vor einem steht."

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"Dass die Politik in der Wissenschafts- und Hochschulpolitik weiterhin in Schockstarre verbleibt, ist der Politik vorzuwerfen und nicht den Studierenden."

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"Man kann als Einzelperson Ohnmacht überwinden. Wenn man etwas tut, passiert etwas."

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"Wir merken, dass sich viel mehr Leute in die Bildungsdiskussion einbringen und dadurch gibt es auch viel mehr MultiplikatorInnen."

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"Wenn ich mir anschaue, was wir alles organisiert haben. Das waren Demos mit zehntausenden Menschen", sagt Sigrid Maurer, Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft. Kurz vor dem Ende ihrer Amtsperiode zieht sie gemeinsam mit ihren Kollegen vom ÖH-Vorsitzteam, Thomas Wallerberger und Mirjiam Müller, Bilanz. Es gab drei Wissenschaftsminister, die Besetzungen der Hörsäle an den verschiedenen Universitäten im Rahmen der Unibrennt-Bewegung und nicht zuletzt die Kürzungen bei der Familienbeihilfe.

Warum Maurer, Wallerberger und Müller dennoch auch stolz auf von ihnen gesetzte Aktionen sind, was sie ihren Nachfolgern mit auf den Weg geben, und weshalb sie die ÖH nach wie vor als zeitgemäß betrachten, sagten sie im Interview mit derStandard.at.

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derStandard.at: Sie blicken auf zwei turbulente Jahre zurück: Fangen wir das Interview dennoch mit dem Positiven an. Was waren die drei besten Dinge, die Ihnen in den letzten beiden Jahren passiert sind?

Maurer: Unibrennt.

Müller: Die Vollversammlungen.

Maurer: Und nicht passiert, das haben wir eher gemacht: Dass die ÖH wieder so sichtbar ist und wir sie ganz eindeutig als politische Kraft positioniert haben.

derStandard.at: In Zeiten von Wirtschaftskrise und Sparprogrammen - ist es heute eine besonders schwierige Zeit um Student zu sein? Mit welchen Problemen sind Studierende heute konfrontiert?

Wallerberger: Die Studierenden sind weiterhin und vor allem nach den Budgetbeschlüssen mit finanziellen Problematiken konfrontiert. Durch die Kürzung der Familienbeihilfe wird sich die soziale Lage der Studierenden noch verschlechtern. Das hat natürlich in irgendeiner Art und Weise auch mit der Wirtschaftskrise zu tun. Es gibt aber auch eine gewisse Kontinuität die sich hier durch die Wissenschaftspolitik zieht. 

derStandard.at: Ein Beispiel für härtere Bedingungen an den Unis ist die Studieneingangsphase neu: Prüfungen in der Studieneingangsphase können weniger oft wiederholt werden und die Eingangsphase muss positiv absolviert werden, um weiterstudieren zu können. Wie kann man da als ÖH noch ruhig zusehen, wenn solche Verschärfungen beschlossen werden?

Müller: Zusehen kann man gar nicht mehr dabei und wir haben das auch sehr vehement geäußert, dass es absoluter Blödsinn ist, was gemacht worden ist, vor allem weil die damalige Ministerin Karl ja immer gesagt hat, sie will verhindern, dass Leute durch Knock-out-Prüfungen aus dem Studium rausgeschmissen werden. Im Endeffekt ist die neue Studieneingangsphase nichts anderes als eine Knock-out-Phase, die gesetzlich implementiert worden ist.

Wallerberger: Es gibt auch da Kontinuität, es ist ein weiterer Pfusch im Universitätsgesetz, wieder eine spontane Anlassgesetzgebung. Ursprünglich wollten SPÖ und vor allem die ÖVP den Zugang aber noch viel weiter beschränken. Wir haben daraufhin die Parteizentrale der SPÖ besetzt und schon auch einiges verhindert. Aber natürlich sind wir nicht glücklich mit der Studieneingangsphase.

derStandard.at: Als die Familienbeihilfe gekürzt worden ist, sind Sie zur Regierungsklausur nach Loipersdorf gefahren.

Maurer: Wir wollten für mehr Geld kämpfen. Als wir dann dort waren, wurden wir mit einer weiteren krassen Verschlechterung für die Studierenden konfrontiert, das war nicht abzusehen. Die Verantwortlichen haben gesagt, oh, wir haben nicht gewusst, dass die Studierenden betroffen sind. Wie absurd ist das? Das zeigt die Unfähigkeit der Politik.

derStandard.at: Aber haben Sie in den letzten zwei Jahren das Gefühl gehabt, gehört zu werden? 

Müller: Insofern schon, weil Politiker nach und nach zugegeben haben, dass das tatsächlich ein riesen Blödsinn war, dass sie jetzt aber nicht mehr zurück können.

Wallerberger: Was man in Österreich beobachten kann - auch bei Unibrennt - ist die Kultur des Aussitzens. Faymann hat sich kaum zu Wort gemeldet. Die Kultur des Reagierens gibt es überhaupt nicht. Man sitzt alles aus, was nach Problemen riecht. 

derStandard.at: Ist eine Interessensvertretung wie die ÖH noch zeitgemäß? Nicht einmal 30 Prozent gehen wählen, welche Relevanz hat die Studierendenvertretung? Bis 1967 wählten stets zwischen 60 und 70 Prozent der Studenten.

Maurer: Die Wahlbeteiligung war deswegen so hoch, weil es da ein Heft gegeben hat, wo man einen Stempel reinbekommen hat und die Studierenden haben Verschlechterungen befürchtet, wenn sie nicht wählen gegangen sind. Wir wünschen uns natürlich eine höhere Wahlbeteiligung und wir tun auch unendlich viel dafür. Wir haben eine Kampagne gestartet und viele Maßnahmen gesetzt um die Beteiligung zu steigern. Aber deshalb die ÖH in Frage zu stellen? Es sinkt die Wahlbeteiligung bei allen Wahlen. Es zeigt sich, dass es sehr viel damit zu tun hat, wie die Situationen an den Universitäten ist, wie viele Präsenzzeiten die Studierenden tatsächlich an der Universität haben. An den Fachhochschulen zum Beispiel ist die Wahlbeteiligung wesentlich höher, weil sie mehr vor Ort sind. 

derStandard.at: Oft gibt es Kritik am Mitgliedsbeitrag, es sei ein Zwangsbeitrag.

Müller: Wenn man eine Interessensvertretung macht, dann muss man in finanzieller Hinsicht unabhängig sein. Ich fände es extrem absurd, wenn die ÖH das Geld vom Ministerium erhält. Man würde sich in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben. 

Maurer: Man muss auch dazu sagen, dass es in den 90er Jahren eine österreichweite Ur-Abstimmung unter Studierenden gab und da ist ganz klar die Befürwortung der Mitgliedschaft aller Studierenden in der ÖH herausgekommen.

derStandard.at: Inwiefern hat Unibrennt die Arbeit der ÖH verändert?

Wallerberger: Unibrennt hat uns mehr Leute gebracht, die sich auf der Bundesvertretung engagieren. Es hat uns viel Expertise und Austausch gebracht.

Maurer: Die globalste Auswirkung ist, dass viele Studierende politisiert worden sind. Wir merken, dass sich viel mehr Leute in die Bildungsdiskussion einbringen und dadurch gibt es auch viel mehr MultiplikatorInnen. Auch die Studierenden haben eine Familie, denen Sie erklären müssen, warum sie im Audimax sitzen und es besetzen. Diese Politisierung ist positiv, weil die Leute erkannt haben, dass sie tatsächlich was machen können. Sie haben diesen Raum genutzt, sie haben Arbeitsgruppen gegründet. Sie haben erkannt, dass sie sich auch selber in die Angelegenheiten einmischen können. Auch das ist ein Wandel in der politischen Kultur in der Zivilgesellschaft.

derStandard.at: Das zweite Jahr eurer Amtsperiode war eigentlich das einschneidendere, was Verschärfungen an den Unis betrifft. Hat Unibrennt zu früh stattgefunden, um Druck auf die Budgetverhandlungen ausüben zu können?

Maurer: Man muss sich schon anschauen, wie der politische Ablauf war. Dass das Budget so kommt, war klar. Die Diskussionen rund um Unibrennt haben die bildungspolitische Entwicklung aber dennoch entscheidend geprägt. Es wird jetzt oft so hingestellt, dass Unibrennt und wir nicht erfolgreich gewesen wären. Wir hätten aber keine 30 Zusatzmillionen von Hahn bekommen. Wir hätten ohne diese Proteste flächendeckende Zugangsbeschränkungen und wir hätten keinen Wandel in der Diskussion, ob wir zu viele oder zu wenige Studierende haben. Das alles sind Erfolge, die nicht ausreichen um die Situation zu verbessern, aber ohne unser Engagement und unsere Beharrlichkeit, wäre das alles nicht passiert.

Wallerberger: Dass die Politik in der Wissenschafts- und Hochschulpolitik weiterhin in Schockstarre verbleibt, ist der Politik vorzuwerfen und nicht den Studierenden.

derStandard.at: Zwei Jahre, drei Minister. Wie sind die drei WissenschaftsministerInnen, die es während Ihrer Amtszeit gab, zu bewerten?

Wallerberger: Um noch eine vierte dazu zunehmen: Waren Gehrer, Hahn und Karl so unterschiedlich? Ich glaube nicht, sie waren alle sehr linientreu und haben das Parteiprogramm nach bestem Wissen und Gewissen verfolgt. Bei Töchterle ist es noch schwierig, eine Aussage zu treffen. Er hat gezeigt, dass er mit der ÖH in Kontakt treten will und er sieht, dass an uns kein Weg vorbeiführt.

Maurer: Karl war eine Frau, das ist positiv zu bemerken.

Müller: Trotz allem war das Gesprächsklima besser als bei Hahn.

Maurer: Die Studierendenpositionen hat sie trotzdem ignoriert, wie die anderen auch.

Wallerberger: Karl hat ein Pflichtprogramm abgespult, das macht sie jetzt im Justizressort auch. Es waren immer die gleichen Aussagen. Es war nicht mehr spannend, was sie in den Interviews gesagt hat.

Maurer: Ich würde weitergehen: Es war nie spannend.

derStandard.at: Von Karlheinz Töchterle erwartet sich die ÖH und die Uniko mehr. Wie schätzen Sie die Möglichkeiten ein?

Müller: Es hängt zum großen Teil vom Rest der Regierung ab, ob er es schafft, stärker aufzutreten. Karl hat es nie geschafft, sich hinzustellen und zu sagen: 2011 haben wir das Jahr der Bildung, es müssen Taten folgen. Ob Töchterle sich angesichts einer neuen Finanzministerin und einer sehr einbetonierten Regierung durchsetzen kann, ist fraglich. Ich traue es ihm mehr zu als Karl.

Wallerberger: Er muss die Ellbogen einsetzen dazu. Nur mit Freundlichkeiten wird er sich nicht durchsetzen gegenüber Fekter.

derStandard.at: Was erwarten Sie von Fekter?

Maurer: Wir haben Fekter als menschenverachtende Ministerin kennengelernt. Ich weiß nicht was von ihr zu erwarten ist. Wir appellieren natürlich auch an sie, Wissenschaft und Universitäten entsprechend auszustatten.

Wallerberger: Als Humanistin glänzt sie sicher nicht.

derStandard.at: Ende des Monats finden ÖH-Wahlen statt. Was wollt ihr euren Nachfolgern mit auf den Weg geben?

Maurer: Wir haben da so ein Buch geschrieben, das werden wir ihnen mit auf dem Weg geben. (Präsentation am kommenden Dienstag, Anm.)

Müller: Mut, und dass sie sich trauen, laut zu sein gegen die Regierung. Es zahlt sich aus, nicht nur im Kämmerchen zu bleiben.

Wallerberger: Und eine bewegliche Bundesregierung, vor allem in Finanzierungsfragen ...

Maurer: ... am besten gleich eine neue.

derStandard.at: Und wenn ihr in 20 Jahren auf eure Tätigkeit zurückblicken werdet, was habt ihr gelernt?

Wallerberger: Ich werde mich fragen wie es möglich war, Wochen hindurch achtzig Stunden zu arbeiten.

Maurer: Es ist schon jetzt unerklärlich. Wenn ich mir anschaue, was wir alles organisiert haben. Das waren Demos mit Zehntausenden Menschen. Auch die dichte Abfolge der Ereignisse. Was ich gelernt habe, ist eine enorme Flexibilität, zum Beispiel innerhalb einer Stunde eine Medienaktion auf die Füße zu stellen.

Wallerberger: Was auf jeden Fall übrig bleibt: Man kann als Einzelperson Ohnmacht überwinden. Wenn man etwas tut, passiert etwas.

Müller: Ich habe gelernt, überzeugt für eine Sache einzustehen und nicht zu kuschen wenn ein Bundeskanzler vor einem steht.

Maurer: In den meisten Situationen kann man auch nicht anders.

Müller: Wenn Josef Pröll uns beim Brötchenessen zum Beispiel erklärt, dass die Familienbeihilfe eh vollkommen wurscht ist.

Maurer: Weil er gearbeitet und schon ein Kind gehabt hat, als er studiert hat.

Wallerberger: Wir haben im gesagt, dass nur 18 Prozent Studienbeihilfe beziehen und das sozial problematisch ist. Er hat geantwortet: "Seien wir froh, dass nur so wenige sozial bedürftig sind." Das war der Anstoß, den Tisch zu verlassen.

derStandard.at: Wie geht es in Zukunft weiter bei Ihnen? Frau Maurer, gerade bei Ihnen wird gemutmaßt, dass sie schon bald in der Parteipolitik wieder treffen könnte?

Maurer: Mir geht das schon ziemlich auf die Nerven. Es ist klar, dass so etwas gestreut wird. Dass wir politisch weiterarbeiten werden, liegt auf der Hand. Ich kann nicht anders. Ich bin so wütend, ich kann nicht zusehen bei den Ungerechtigkeiten dieser Welt. Ob das in Form eines Mandates in irgendeiner Partei, in einer NGO oder im Rahmen einer Universität, das weiß ich nicht. Ich will jetzt einmal meinen Abschluss machen, alles Weitere entscheidet sich später. Ich lehne Karriereplanungen, die so aussehen, dass ich in eine Organisation eintrete und dann komme ich bei der und der Position heraus, wie uns das der eine oder andere Staatssekretär vormacht, ab.

Wallerberger: Bei Kurz könnte man den Lebenslauf schon vorher auf Wikipedia schreiben.

derStandard.at: Zum Abschluss: Wird es in naher Zukunft wieder Studiengebühren geben?

Wallerberger: Nein, und wir kämpfen dagegen.

Maurer: Wir werden es verhindern. Also nicht mehr wir, sondern die andern ...

Wallerberger: Auf den Fachhochschulen gibt es ja noch immer Studiengebühren, wir wollen sie auch für die FHs abgeschafft wissen. (Sebastian Pumberger, Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 5.5.2011)