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Herzinsuffizienz zählt heute zu den häufigsten Erkrankungen in entwickelten Ländern.

50 Prozent der Patienten sterben innerhalb von vier Jahren, mehr als 50 Prozent mit der Diagnose "schwere" Herzinsuffizienz gar innerhalb eines Jahres. "Die Sterblichkeit innerhalb von fünf Jahren nach Diagnosestellung übersteigt mit 72 Prozent diejenige der meisten bösartigen Tumoren", berichtet Richard Pacher, Leiter der Herzinsuffizienz-Ambulanz am Allgemeinen Krankenhaus Wien (AKH) sowie Begründer der Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (ÖKG). 250.000 Menschen sind in Österreich von Herzinsuffizienz betroffen, 28 Millionen Menschen in Europa. Und es werden immer mehr.

Kostenexplosion von 200 Prozent

"Herzinsuffizienz zählt heute zu den häufigsten Erkrankungen in entwickelten Ländern", weiß Pacher. Damit nicht genug: "Etwa 25 Prozent Zuwachsrate erwarten wir in den nächsten 20 Jahren." Die epidemische Ausbreitung der Krankheit geht mit einer Kostenexplosion einher. Für die kommenden 20 Jahre werden 200 Prozent an Mehrkosten prognostiziert. Dabei verursacht die Erkrankung schon heute im Vergleich zu sämtlichen anderen Erkrankungen den größten Anteil an Kosten im Gesundheitsbudget.

Erste Anzeichen

"Eines der ersten Anzeichen von Herzinsuffizienz ist Atemnot, insbesondere bei Belastung", erklärt Reinhold Glehr, Arzt für Allgemeinmedizin und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin. Auch eine Abnahme der Leitungsfähigkeit ist zu beobachten. Der Puls beschleunigt sich bereits bei geringer Belastung und später auch in Ruhe. Oft kommt ein Wasserrückstau in der Lunge, in den Beinen oder im Bauchraum dazu.

Herzinsuffizienz ist eine der häufigsten Behandlungsanlässe in der Hausarztpraxis und sie ist eine Frage des Alters: Bei über 70-jährigen leidet jeder 20., bei über 80-jährigen bereits jeder achte bis zehnte Patient daran. Weshalb für Allgemeinmediziner Glehr die Bewusstseinsarbeit in der Begleitung älterer Patienten oberstes Ziel ist. Bei jüngeren Patienten ist es die Prävention: das Hinlenken der Aufmerksamkeit auf die Risiken.

Mangelhafte Erstdiagnose

Prinzipiell kann Herzinsuffizienz in jedem Alter auftreten, selbst bei Kindern. "Hier sind die Zahlen aber stagnierend", weiß Richard Pacher. Häufigste Ursache bei jungen Patienten ist die Herzmuskelentzündung, weshalb der Herzexperte appelliert: "Patienten, die sich von einem Infekt nicht erholen, sollten aktiv den Arzt aufsuchen um eine Symptomenabklärung durchzuführen."

Obgleich es zunehmend wirksame Therapien in Form von Medikamenten und implantierbaren Geräten gibt, werden diese zu wenig genutzt, sind sich die Herzspezialisten einig. In der Erwachsenenbevölkerung geht man von etwa zehn Prozent Betroffenen aus, wobei etwa 50 Prozent noch nicht diagnostiziert sind. "Grund dafür ist eine hohe Anzahl noch beschwerdefreier Patienten und ein fehlendes Bewusstsein in der Bevölkerung für die Beschwerden, die oft dem Allgemeinbefinden zugeordnet werden", weiß Pacher. Dabei besteht neben der etablierten Herzultraschalluntersuchung (Echokardiographie) ein kostengünstiger Bluttest mit der Bezeichnung Natriuretisches Peptid (NT-proBNP). Dieser ist in weiten Bereichen Österreichs dem niedergelassenen Bereich allerdings noch nicht zugänglich.

Die Selbstständigkeit erhalten

"Die Beschwerden werden gerade in der älteren Bevölkerungsschicht oft alleinig dem Alter zugeordnet", berichtet Pacher. Die Folge sei eine erhöhte Pflegebedürftigkeit, obwohl mit einer suffizienten Therapie die Leistungsfähigkeit und Selbstständigkeit der Patienten erhalten bleiben können. Hier setzt Johann Altenberger, Oberarzt an der Universitätsklinik für Innere Medizin und Leiter der Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz der ÖKG, mit seinem Projekt Kardiomobil an: "Es ist extrem wichtig, sich gemeinsam mit Betreuungspersonal, Angehörigen und dem Hausarzt um die Patienten zu kümmern. Bei Letzterem laufen die Fäden zusammen." Drei Bereiche prägen Altenbergers Projekt, an dem sämtliche Salzburger Regionen und Krankenhäuser beteiligt sind: Schulung, Kontrolle und Reaktion.

Disease Managment

Ein Disease Management-Programm par excellence: Speziell ausgebildetes Personal der Mobilen Hauskrankenpflege betreut die Patienten. Zuerst werden alle krankheitsrelevanten Parameter erklärt, dann gilt es zu erkennen, ob der Patient in der Lage ist, ein selbständiges Krankheitsmanagement durchzuführen - vom Blutdruckmessen bis zum Umgang mit dem EKG. Die Daten werden an eine Leitstelle übermittelt. Das Kardiomobil-Pflegepersonal fungiert auch als "Notfall-Polizei": Bei groben Therapieabweichungen oder gravierenden gesundheitlichen Problemen verständigt man Hausarzt oder Spezialambulanz und bespricht gemeinsam das weitere Vorgehen.

Auch in anderen Bundesländern gibt es individuelle Ansätze, die von einer risikogelenkten Betreuungsoptimierung (etwa in Wien) bis zu telemedizinischen Ansätzen (in der Steiermark) reichen. In Ober-und Niederösterreich finden sich gemischte Modelle. "Wichtig in diesem Zusammenhang ist nicht die Art des Programmes, sondern abhängig von der lokalen Situation die optimale Ressourcennutzung und vor allem Vernetzung", betont Pacher.

Unnötige stationäre Aufenthalte

Was bringen Disease Management-Programme? Altenberger: "Mit der intensivierten und koordinierten Behandlung der Patienten kann man die Wiederaufnahme in Krankenhäuser signifikant senken, was massiv zur Kostensenkung im Gesundheitsbereich beiträgt." Pacher: "Eine mangelnde Verschreibung bzw. Einnahme von Medikamenten ist die treibende Kraft unnötiger stationärer Aufenthalte. 50 Prozent könnten mit einem besseren Patientenmanagement vermieden werden." Aber nicht nur ökonomische Gesichtspunkte sprechen dafür. Untersuchungen zeigen, dass keine chronische Erkrankung einen solchen Leidensdruck aufbaut wie Herzinsuffizienz und der Wunsch der Patienten sogar eher in Richtung einer Beschwerdelinderung als einer Lebensverlängerung geht.

Es ist nie zu spät

Ob man Herzinsuffizienz vorbeugen kann? "Oft ist die Entwicklung schicksalhaft", sagt Pacher. Eine Anpassung des Lebensstils sei aber wie bei den meisten Zivilisationskrankheiten sinnvoll. Das sei insofern einleuchtend, als die größten Risikogruppen Patienten mit Diabetes, Hypertonie und KHK darstellten. Viel an Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und ein ausgeglichenes Lebensumfeld nennt der Experte als vorbeugende Maßnahmen. "Diese Komponenten haben auch bei einer bereits ausgebrochenen Erkrankung einen positiven Einfluss auf den Verlauf. Es ist also nie zu spät." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 06.05.2011)