Das Werbekonzept war perfekt: Bereits lange vor dem Golfkrieg lobten die Reiseprospekte gezielt das Klima der Toleranz in Marokko. So sollten Europäer und Nordamerikaner weiterhin dazu gebracht werden, die schönsten Wochen des Jahres im Alewitenreich zu verbringen. Die Rechnung schien aufzugehen. Anders als andere arabische Länder verzeichnete Marokko trotz 11. September 2001 und Golfkrieg kaum Buchungsrückgänge. Das dürfte sich jetzt nach den Anschlägen von Casablanca dramatisch ändern.

Ein Blick nach Tunesien zeigt die verheerenden Auswirkungen terroristischer Anschläge auf das Geschäft mit Sonne, Strand und Medina. Jahrelang drohte der kleine Flughafen auf der Ferieninsel Djerba aus allen Nähten zu platzen. Doch seit vor etwas mehr als einem Jahr in der ältesten nordafrikanischen Synagoge in Djerba eine Bombe 21 Menschen - die meisten von ihnen europäische Urlauber - in den Tod riss, bleiben die Touristen aus, der halbfertige Flughafenerweiterungsbau steht da wie ein stummer Zeuge aus besseren Zeiten.

In Monastir oder Hammamet sieht es nicht besser aus. Knapp 35 Prozent der einst fünf Millionen jährlichen Besucher blieben von heute auf morgen weg. Der Sektor, der sechs Prozent des tunesischen BIP ausmacht, war in den Neunzigerjahren von Wachstumsraten bis zu 35 Prozent verwöhnt. Jetzt blicken die Reiseveranstalter in eine ungewisse Zukunft, und mit ihnen rund 100.000 Beschäftigte. Auch Sonderangebote konnten bisher an der Krise nichts ändern.

Verdopplung angestrebt

Die Anschläge von Freitagabend in Casablanca drohen nun die marokkanische Wirtschaft ebenso hart zu treffen. Der Tourismus macht hier acht Prozent des BIP aus. 600.000 Beschäftigte - 5,8 Prozent aller Arbeitsplätze - hängen vom Tourismusgeschäft ab. Marokko ist eines der wichtigsten afrikanischen Ziele für reisehungrige Europäer. Und Regierung und Tourismusbranche haben eigentlich Großes vor: Bis zum Jahr 2010 sollte die Besucherzahl von 2,5 Millionen jährlich auf zehn Millionen verdoppelt werden. Diese ehrgeizigen Pläne drohen jetzt - zumindest was den gesteckten Zeitrahmen angeht - den Anschlägen zum Opfer zu fallen. (rw/DER STANDARD, Printausgabe, 19.5.2003)