In letzter Zeit wurden uns auf der Weltbühne gleich zwei Lehrstücke "transatlantischer Verdachtspolitik" vorgeführt. Das erste ging dem Irakkrieg voraus, der bekanntlich mit dem Verdacht auf irakische Massenvernichtungswaffen gerechtfertigt wurde. Frankreich und Deutschland hatten Zweifel und plädierten für weitere Prüfungen durch die UN; die Alliierten gingen dennoch in die Offensive; an der Verdachtslage hat sich - trotz emsiger Nachforschungen seitens der mittlerweile von den USA selbst entsandten Inspektoren - nichts geändert: Die Zerstörungsmittel sind unauffindbar.

In einem ganz anderen Feld hat die US-Regierung nun eine weitere Front und damit zugleich ein neues Kapitel in der Geschichte der transatlantischen Verdachtspolitik eröffnet: Die Bush-Administration erklärte am 13. Mai, sie werde die EU-Kommission bei der WTO klagen. Anlass und Gegenstand des Verfahrens: "Handelshemmnisse" bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln.

Es genügt der bloße Verdacht

Nun sind es also die USA, die einen Verdacht als unbegründet zurückweisen - nämlich den bezüglich der Gefährlichkeit von so genanntem Genfood. Für die EU und ihre Expertenstäbe hingegen bildet eben dieser Verdacht die Basis ihres aufwändigen Regelungsregimes, das gentechnisch veränderte Lebensmittel zwar nicht verbietet, Hersteller und Handel aber dazu zwingt, sie zu kennzeichnen - für die USA ein inakzeptabler Kostenfaktor.

Zur Verdeutlichung: Das den EU-Regelungen zugrunde liegende "Vorsorgeprinzip" befürwortet Restriktionen schon dann, wenn die Sicherheit eines Produkts auch nur bezweifelt wird. Es genügt also der bloße Verdacht.

Sanktionen bei WTO-Verfahren beträchtlich

Sollte es tatsächlich zu einem WTO-Verfahren kommen, wären die daraus resultierenden Sanktionen beträchtlich. Die Strafzölle im Bananenkrieg und im Hormonkonflikt in den 90er-Jahren waren da nur ein kleiner Vorgeschmack. Immerhin reklamiert die US-Agrarindustrie wegen des blockierten EU-Marktes einen Verlust in der Höhe von 300 Millionen Dollar. Und die EU hat bei der WTO einmal mehr klar die schlechteren Karten:

Das Freihandelsrecht lässt nur wissenschaftlich nachgewiesene Gefahren als Importbeschränkung gelten. Ein bloßer Verdacht gälte daher als nicht tarifäres Handelshemmnis, es sei denn, die EU könnte eine Gesundheitsgefährdung wissenschaftlich nachweisen. Das aber kann sie ebenso wenig wie beim Hormonkonflikt.

Wahr ist . . .

Mit dem nun eröffneten Handelsstreit vertieft sich die transatlantische Kluft weiter. Wieder sind die USA offensiv, der alte Kontinent in der Defensive, eine gütliche Einigung scheint so gut wie ausgeschlossen. Dafür wäre schließlich fünf Jahre Zeit gewesen, und für die organisierten Interessen auf beiden Seiten steht zu viel auf dem Spiel.

Dabei geht es doch in beiden Fällen um scheinbar ganz simple Fragen: Gibt es die Massenvernichtungswaffen oder nicht? Ist "Gen-Essen" schädlich oder nicht? Aber das ist eben die Tücke der Verdachtspolitik: Einmal "freigesetzt", lässt sich ein Verdacht endlos weiterspinnen und ist auch durch "Fakten" kaum mehr restlos aus der Welt zu schaffen.

Was schlussendlich wohl auch für den Verdacht gilt, dass sich die Konfliktparteien in beiden Fällen offenkundig an einer ganz pragmatischen Maxime orientieren: Wahr ist, was nützt. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.5.2003)