Sonja Ablinger: "Wir reden nur von Ängsten, nie von Hoffnungen"

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Sie war die einzige aus dem SPÖ-Klub, die bei der Abstimmung zum umstrittenen Fremdenrechtspaket im Parlament aufstand und den Raum verließ: Sonja Ablinger, Abgeordnete aus Oberösterreich. Im Gespräch mit derStandard.at erläutert sie die Gründe für ihren Protest, spricht über ihre Wünsche an die SPÖ in Sachen Fremdenpolitik und erklärt, wie man zwischen G'schichten und echten Problemen unterscheidet. Die Fragen stellten Maria Sterkl und Rainer Schüller.

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derStandard.at: Wir haben Josef Cap und Laura Rudas zu einer Gesprächsrunde über das Fremdenpaket mit Ihnen eingeladen, aber deutliche Absagen erhalten. Warum?

Ablinger: Vielleicht wollten sie keinen öffentlichen Diskurs mehr führen.

derStandard.at: Verträgt die SPÖ so einen öffentlichen Diskurs nicht?

Ablinger: Ich würde meinen, sie verträgt ihn schon, und er wäre dringend notwendig. Ich habe sehr viele Reaktionen gekriegt und gemerkt, dass die Klubmeinung vielleicht nicht ganz repräsentativ ist. Es gibt viele in der SPÖ, die sich ein deutlich anderes Zeichen der Partei in Asylfragen wünschen. Aber natürlich hat der Klubobmann da eine andere Einschätzung.

derStandard.at: Wäre das in einer SP-Alleinregierung anders?

Ablinger: Nicht unbedingt. Es hat in der SPÖ seit Mitte der Neunzigerjahre einen Rechtsruck gegeben. Und mittlerweile fehlt uns die Expertise. Es gibt nur Schlagworte, immer heißt es „Über Integration müssen wir reden“. Aber die Expertise ist verloren gegangen. Wir brauchen einen engeren Austausch mit NGOs, um das Asylthema nicht immer mit Sicherheitsfragen zu verknüpfen.

derStandard.at: Gerade gegen diese Verknüpfung will ja nun auch ÖVP-Staatssekretär Sebastian Kurz auftreten. Kümmert sich die ÖVP um Themen, die vormals eher der SPÖ zuzuordnen waren?

Ablinger: Bis jetzt habe ich von Kurz nur Stehsätze gehört, ich kann das insofern nicht beurteilen. Aber ich finde es schade, dass das Staatssekretariat im Innenministerium angesiedelt ist – wobei ich nicht jammern möchte, die SPÖ hätte das ja schon viel früher machen können.

derStandard.at: Weiß eigentlich noch irgendjemand, welchen Kurs die SPÖ in der Fremdenpolitik verfolgt? Stichwort Anwesenheitspflicht: Die ÖVP war von Anfang bis zum Schluss dafür, heute ist sie geltendes Recht. Die SPÖ war von Anfang an dagegen, und am Schluss stimmte sie doch zu.

Ablinger: Ich habe das auch erstaunlich gefunden. Die SPÖ hat vor längerer Zeit einen Beschluss gefasst, dass es keine Anwesenheitspflicht geben kann. Der Begutachtungsentwurf im Herbst hat für viel Kritik gesorgt, und auch da hat es in der SPÖ geheißen, dass das verfassungsrechtlich nicht geht. Dann ist das wegen den Komani-Zwillingen auf Eis gelegt worden. Jetzt ist die Anwesenheit nach der Begutachtungsfrist fürs neue Gesetz noch reingekommen, und auf einmal sind wir dafür. Das ist wirklich erstaunlich – und das ist noch das netteste Wort.

Es macht nicht erkennbar, wofür wir eigentlich sind. Seit den Neunzigerjahren gibt es diese Schmied-Schmiedl-Diskussion, und die Frage: Wie weit geben wir nach? Gewinnt man damit irgendwas? Meine Einschätzung ist: Man muss sich als SPÖ in Menschenrechtsfragen klar positionieren. Sich an rechte Positionen anzubiedern, bewirkt nur, dass wir in beide Richtungen Stimmen verlieren. Wobei ich das nicht nur wahltaktisch sehen würde, das ist eine Haltungsfrage.

derStandard.at: Warum sind Sie eigentlich die einzige, die aufsteht?

Ablinger: Es gibt viele in der SPÖ, die anders denken, das weiß ich. Im Klub hat es halt dann diese Diskussion gegeben. Und dann heißt es: „Jetzt haben wir so lange diskutiert, irgendwann muss man in der Koalition zu einem Beschluss kommen“ – das sind dann die Argumente. Aber wenn wir klarer in Verhandlungen gehen würden, dann könnten wir das Blatt einmal wenden.

derStandard.at: Ist der schwammige Kurs beim Fremdenrecht nicht marketingtechnischer Selbstmord?

Ablinger: Es gibt in den Gemeinden und den Ländern so viele konkrete, gute Sachen, so viel Engagement fürs Zusammenleben. Das geht dabei leider unter. Als sozialdemokratische Partei gewinnt man nie etwas, wenn man sich an die Rechten anbiedert. Man muss sich für die einsetzen, die es schwerer haben im Leben – und das sind die Arbeiter genauso wie die Zuwanderer. Das muss die SPÖ viel stärker thematisieren.

derStandard.at: Warum sind Sie dagegen, dass MigrantInnen strengere Deutschtests bestehen müssen?

Ablinger: Wir produzieren damit Probleme. Wir erhöhen das geforderte Niveau, in weniger Zeit, mit weniger Förderung. Ich bin auch dafür, dass die Leute die Sprache lernen – gar keine Frage. Aber wir wissen: Die Hürden sind zu hoch, die Hälfte der Leute wird das nicht schaffen. Was ist das Ergebnis? Man muss sie abschieben. Wollen wir so die nächsten Bleiberechts-Härtefälle schaffen?

derStandard.at: In den letzten 15 Jahren hat es extrem viele Änderungen im Fremdenrecht gegeben – kaum möglich, hier noch den Durchblick zu bewahren. Warum wird so häufig novelliert, was steckt da dahinter?

Ablinger: Das ist eine gute Frage – die sollte man einmal der Ministerin stellen. Es gibt wohl eine Art Salamitaktik – permanent ganz kleine Verschärfungen zu machen, stückchenweise. Warum regelt man das Bleiberecht nicht endlich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das die BürgermeisterInnen wünschen, dass ständig neue Fälle hochkochen– Komanis, Zogajs, und so weiter. Da heißt es dann: "Recht muss Recht bleiben!" Aber das Recht wurde ja vorher so gemacht! Seit Mitte der Neunzigerjahre sind die Novellen immer von einer Art Generalverdacht getragen. Wenn man sich zum Beispiel die 2005er-Gesetze durchliest, dann muss man manchmal sogar eine Pause machen beim Lesen, sofern man es überhaupt lesen kann – weil es getragen ist von dem Gedanken, dass Asylwerber nur zu uns kommen, um unser Asylsystem zu missbrauchen.

derStandard.at: Alle Verschärfungen der letzten Jahre wurden mit einem Stichwort begründet: Missbrauch. Ist dieser Missbrauch ein ernstes Problem?

Ablinger: Nein. Beispiel Anwesenheitspflicht: Ministerin Fekter hat gesagt, wir brauchen das, weil die alle untertauchen. Ich habe mehrere Anfragen gestellt, wie viele tatsächlich untertauchen – und sie hat immer gesagt, solche Statistiken werden gar nicht geführt. Wenn man also genauer hinschaut, sieht man, es geht gar nicht um Missbrauch. Aber es klingt natürlich gut, wenn man sagt: „Die tauchen alle unter, die sind alle illegal“. Freiheit ist für mich ein hohes Gut. Und man würde von niemand anderes, der einen Antrag auf ein Verwaltungsverfahren stellt, verlangen, dass er die ersten sieben Tage rund um die Uhr für die Behörde erreichbar sein muss. Aber bei Asylwerbern tut man es.

derStandard.at: War die Gesetzgebung in den letzten 15 Jahren eher integrationsfördernd oder -hemmend?

Ablinger: Früher galt der Grundsatz: "Je sicherer ich mir bin, dass ich hier leben kann, desto mehr lasse ich mich auf dieses Land ein." Mittlerweile sind wir bei einer Umdrehung dieses Grundsatzes: "Erst musst du dich integrieren, dann bekommst du Sicherheit." Es ist schon jetzt extrem schwierig, die Staatsbürgerschaft zu bekommen, und mit der neuen B1-Prüfung wird es noch schwieriger. Wenn es dann heißt „Es gibt so viele Ausländer bei uns“, dann muss ich sagen: Früher wären sie schon längst eingebürgert worden - zu Recht, weil sie schon längst hier ihre Heimat gefunden haben.

derStandard.at: Mit welcher Legitimation fordert die Politik von MigrantInnen, sie sollen sich integrieren, wenn sie selbst Integration verhindert?

Ablinger: Das ist genau der Punkt. Es müsste ein Hand-Ausstrecken geben, keinen Fußtritt. Ich habe oft den Eindruck, es gibt den ausgestreckten Fuß, aber nicht die ausgestreckte Hand. Und darum ginge es.

derStandard.at: Gibt es die ausgestreckte Hand in der Bevölkerung?

Ablinger: Es gibt viele Vorurteile. Kennen Sie die Geschichte von der türkischen Familie im Diskont-Supermarkt? Die geht so: Eine Familie geht Einkaufen, schmeißt den Kassazettel in den Papierkorb im Supermarkt. Eine türkische Familie grapscht sich diese Rechnung und sagt: „Das ist unser Einkauf“. Es gibt einen Streit, der Geschäftsführer kommt, und er sagt: „Naja, wenn die die Rechnung haben, dann wird das auch ihr Einkauf sein.“

Diese Geschichte habe ich schon drei Mal gehört. Und dann ist etwas Witziges passiert. Jemand hat mir ein Buch geschickt, über die größten Mythen unserer Gesellschaft. Und dort lese ich genau diese Geschichte – nur mit dem Unterschied, dass die Türken die Ossis waren, die Österreicher die Wessis, es war nicht Hofer, sondern Aldi, und statt dem Einkauf war es der Videorekorder.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht - mir macht das Sorgen, wie mit diesen Vorurteilen Hass produziert wird. Beispiel Kopftuch: Diese Debatte erreicht langsam eine Dimension, wo ich mich frage: Wie geht es eigentlich den Menschen, die in unserem Land leben und ein Kopftuch tragen? Wie geht es denen, wenn sie permanent diese Debatte mitkriegen, wo es nur darum geht, was sie auf dem Kopf haben, aber nicht darum, was sie im Kopf haben?

derStandard.at: Also gibt es keine Probleme, nur erfundene Geschichten?

Ablinger: Nein, aber man muss unterscheiden können, was G’schichten sind, und was Probleme sind. Wir diskutieren viel über MigrantInnen, aber selten mit ihnen.

derStandard.at: Warum?

Ablinger: Ich sag Ihnen ein Beispiel: In einer Stadt in Oberösterreich hat es geheißen, es würden Deutschkurse angeboten, aber es komme niemand. Eine Einrichtung hatte dann die Idee, einmal bei MigrantInnen nachzufragen, warum sie nicht kommen, und hat eine Frauenrunde eingeladen. Und die Frauen haben dann gesagt: Die Kurse waren zu Zeiten, wo sie die Kinderbetreuung nicht regeln konnten. Dann haben sie die Kurszeiten umgestellt, und schwupp war der Kurs voll. Manchmal muss man einfach nur miteinander reden. Auch im Wohnbau: Normalerweise sagt man, der Herr Huber ärgert mich immer oder die Frau Müller sekkiert mich, da geht es dann um die Person. Aber wenn die Person türkisch oder bosnisch ist, dann sind es „die Ausländer“ schlechthin.

derStandard.at: Gibt es eine Grenze, ab der Sie sagen: Bis dahin mit der SPÖ, aber keinen Schritt weiter?

Ablinger: Ich bin überzeugte Sozialdemokratin. Und in Oberösterreich tut sich total viel. Aber natürlich würde es sicher etwas geben, wo ich nicht mehr mit kann. Aber wir versuchen auf und über die Landesebene, den Tanker SPÖ auf einen neuen Kurs zu bringen. Diese Partei wieder zu einer Mitmach-Partei zu machen. Wo Sektionsveranstaltungen nicht zu Befehlsausgaben werden.

derStandard.at: Wie groß ist Ihre Sorge, keinen Listenplatz mehr zu bekommen?

Ablinger: Da hat es keinerlei Drohungen geben. Außerdem: Mein Mandat ist aus Oberösterreich.

derStandard.at: Sie haben im Parlament mit den Grünen mitgestimmt. Würden Sie sich in einer rot-grünen Koalition wohler fühlen?

Ablinger: Es ist ja kein Geheimnis, dass wir in manchen Fragen mit den Grünen mehr Überschneidungen haben. Aber ob sich das ausgeht, Rot-Grün? Ich glaube, das wäre knapp.

derStandard.at: Würde es sich mit einer klaren Koalitionspräferenz für Rot-Grün auf Bundesebene eher ausgehen?

Ablinger: Das glaube ich nicht. Wahlen gewinnt man, wenn man klar sagt, wofür man steht. Es gibt eine enorme Unzufriedenheit bei vielen Menschen. Und eine enorme Bereitschaft, sich zu engagieren. Die SPÖ müsste sich viel mehr verbinden mit dieser kritischen Zivilgesellschaft, und unsere Themen viel stärker präsentieren. Und man muss das Klima verändern. Wenn sich das Klima verändert, können sich auch Mehrheiten ändern. Wir reden nur von Ängsten, nie von Hoffnungen. Aber viele Leute haben mir geschrieben, dass sie bereit wären, sich zu engagieren. (derStandard.at, 6.5.2011)