Der Organismus wird mit Hilfe der Szintigrafie auf Metastasen untersucht. Im Vorfeld werden den Patienten radioaktiv markierte Stoffe injiziert.

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Als ob die Diagnose selbst nicht schon schlimm genug ist: Prostatakrebs. Im Frühstadium sind die Heilungschancen noch sehr gut, doch wenn ein bösartiges Geschwür in der Männerdrüse erst spät entdeckt wird, droht noch eine weitere Gefahr. Der Krebs hat sich vielleicht schon vermehrt. Prostatakarzinome, aber auch andere Tumor-Varianten bilden häufig Metastasen. Diese Tochterzellen verbreiten sich meist über die Blutbahn, lassen sich unter anderem gerne im Knochengewebe nieder und schädigen es.

Die Neuankömmlinge greifen in ein kompliziertes Regelwerk ein. Auch in gesunden Knochen finden permanent Umbauprozesse statt, erklärt Michael Krainer von der Medizinischen Universität Wien. "Das ist kein statisches System." Die Dynamik basiert hauptsächlich auf der Aktivität zweier unterschiedlicher Zelltypen: die Knochengewebe aufbauenden Osteoblasten und die abbauenden Osteoklasten.

Das Zusammenwirken der beiden Zelltypen befindet sich normalerweise in einem gewissen Gleichgewicht, je nachdem, wie stark ein Knochen belastet wird. Wenn sich aber Metastasen im Knochengewebe ansiedeln, gerät die Balance ins Wanken. Die Tumorzellen regen in den meisten Fällen die Osteoklasten an. Gravierender Knochenschwund ist dann die Folge. Dementsprechend leiden die Betroffenen irgendwann unter quälenden Komplikationen wie Schmerzen und Brüchen. In schlimmen Fällen trifft es die Wirbel und somit auch das Rückenmark. Sogar Lähmungen können eintreten.

Bislang bekämpften Ärzte dieses Problem mit Zoledronat, einem sogenannten Biphosphonat-Präparat. "Das ist eine relativ dumme, aber effektive Substanz", meint Michael Krainer. Zoledronat hemme die Funktion der Osteoklasten auf rein chemischem Weg. Seine Wirksamkeit sei relativ gut und schon seit langem bekannt, fährt Krainer fort. Das Medikament vermöge das Auftreten von Komplikationen um Monate zu verzögern. Allerdings: "Es gibt einige Leute, die Zoledronat nicht vertragen." Der Stoff kann vor allem in den Nieren ernsthafte Nebenwirkungen haben. Zudem kommt es bei manchen Behandelten zur Bildung von Osteonekrosen, absterbendem Knochengewebe, im Kieferbereich.

Jetzt gibt es jedoch eine neue, elegante Möglichkeit zur Bekämpfung von krebsbedingten Knochenschäden. Ein internationales Forscherteam hat in zwei groß angelegten klinischen Studien die Wirkung von künstlichen Antikörpern bei Tumorpatienten mit Knochenmetastasen erfolgreich getestet. Diese Antikörper mit dem Namen Denosumab heften sich an den Botenstoff RANKL. Letzterer ist für die Aktivierung der Osteoklasten zuständig und bindet sich dazu an spezielle Rezeptoren an der Oberfläche dieser Zellen.

Heikler Balanceakt

Osteoblasten produzieren sowohl RANKL wie auch dessen Inhibitor, das Osteoprotegerin. Das Wechselspiel zwischen diesen beiden Substanzen reguliert somit die Balance zwischen Auf- und Abbau von Knochengewebe. "Denosumab imitiert gewissermaßen Osteoprotegerin", erläutert Michael Krainer. Die künstlichen Antikörper machen RANKL bindungsunfähig. Die Osteoklasten werden somit nicht länger stimuliert und der metastasenbedingte Knochenschwund gebremst.

In einer der beiden Studien verglichen die Wissenschafter die Effektivität von Denosumab und Zoledronat hinsichtlich der Verzögerung von Komplikationen bei Patienten mit Prostatakrebs bedingten Knochenmetastasen. Unter denjenigen, die Denosumab verabreicht bekamen, traten die ersten Knochenschäden knapp 21 Monate nach Behandlungsbeginn ein. Bei der Zoledronat-Vergleichsgruppe passierte dies im Schnitt nach gut 17 Monaten (vgl. Lancet, Bd. 377, S. 813). Die künstlichen Antikörper haben somit bei Prostatakarzinom-Betroffenen eine bessere Wirkung als das klassische Zoledronat, aber ein Wundermittel ist Denosumab nicht. In der zweiten Testreihe mit Patienten, die unter Knochenmetastasen von anderen Krebsformen litten, schnitten beide Medikamente etwa gleich gut ab. Osteonekrosen traten auch in den Antikörper-Gruppen vereinzelt auf. "Denosumab hat also einen minimalen Vorteil bei höheren Kosten", erklärt Michael Krainer, der mit seinem Team an beiden Studien beteiligt war. Künstliche Antikörper sind in der Produktion viel teuerer als ein Biphosphonat-Präparat. Dennoch betrachtet Krainer die Denosumab-Tests als Erfolg. "Es ist eine sehr interessante Substanz. Für Patienten wie für Ärzte ist es ein Vorteil, wenn man aus mehreren Alternativen auswählen kann."

Keine Langzeiterfahrung

Eines muss jedoch beachtet werden, wie Michael Krainer betont: Die künstlichen Antikörper greifen in ein hochkomplexes System ein. Das von ihnen imitierte Osteoprotegerin ist nämlich strukturell identisch mit einer weiteren körpereigenen Substanz, dem TRAIL-V-Rezeptor. Dieser wiederum dürfte eine wichtige Rolle im Apoptose-Prozess, einer Art vorprogrammierten Zelltods, der unter anderem der Zerstörung von Krebszellen dient, spielen. Ob Denosumab langfristig dieses Regelwerk stört und somit negativ beeinflusst hat, lässt sich zurzeit noch nicht eindeutig klären.

Für einige schwer leidende Krebspatienten wird das Präparat trotzdem ein Hoffnungsträger sein. Nach der bereits erfolgten Zulassung des Medikaments in den USA und der amtlichen Überprüfung der Studienergebnisse durch die EU-Behörden rechnet Krainer damit, dass Denosumab noch im Laufe dieses Jahres auch in Europa für den Einsatz gegen metastasenbedingte Knochenschäden freigegeben wird. Für die Behandlung von allgemeiner Osteoporose ist der Einsatz übrigens schon erlaubt. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD Printausgabe)