Vom Dasein als reiner Suchmaschinenspezialist, mit dem Google einst begonnen hatte, hat sich das Unternehmen über die Jahre ebenso kontinuierlich wie konsequent entfernt. Von Cloud-Anwendungen wie GMail, Google Docs und Calendar über Karten- und Location Based Services bis zum Browser Chrome spannt sich das Angebot des Unternehmens zwischenzeitlich. Die beeindruckendste Erfolgsgeschichte hat man aber wohl mit Android hingelegt, das mit seinem ungebrochen rasanten Wachstum aktuell den Smartphone-Markt aufrollt. Ein Erfolg, der sich nicht zuletzt in einer durchaus beeindruckenden Zahl manifestiert: Mehr als 350.000 neue Android-Geräte werden mittlerweile täglich aktiviert - so verlautbarte es zumindest Google vor einigen Wochen.
Google I/O
Kein Wunder also, dass das Interesse an der Google I/O, der zentralen EntwicklerInnenkonferenz des Unternehmens, von Jahr zu Jahr immer größer wird. Die Plätze für die I/O 2011 waren denn auch innerhalb von gerade einmal 59 Minuten aufgebraucht. Einige Wochen später ist es nun soweit: Ab Dienstag versammeln sich mehr als 5.000 EntwicklerInnen zwei Tage lang in San Francisco, um sich über die aktuellsten Entwicklungen rund um den Softwarehersteller und seine Produkte zu informieren - und gleich dazu passend in zahlreichen technischen Sessions fortzubilden.
Keynote
Kernstück werden dabei wohl die morgendlichen (Lokalzeit, in Österreich: 18:00 bzw. 18:30) Keynotes sein, in denen Google fraglos wieder die eine oder andere Neuerung ausplaudern wird. Was dabei konkret auf die ZuhörerInnen zukommt, ist derzeit natürlich noch geheim, was nicht heißt, dass sich nicht trefflich darüber spekulieren lässt.
Android
So ist unzweifelhaft, dass Android - welches ohnehin den Großteil der technischen Sessions einnimmt - auch hier eine bedeutende Rolle spielen wird. Schon vor einigen Wochen hat man klargemacht, dass mit der kommenden Generation des Betriebssystems - unter dem Codenamen "Ice Cream Sandwich" - die derzeit getrennt behandelten Entwicklungspfade für Smartphones und Tablets wieder zusammengeführt werden sollen. Damit einher geht aller Voraussicht nach eine Überarbeitung des User Interfaces der Smartphone-Version von Android. Chefdesigner Matias Duarte hatte ja schon bei der Veröffentlichung von Android 3.0 angekündigt, dass das neue "Honeycomb"-Interface für alle Android-Formfaktoren die weitere Design-Richtung vorgibt. Hier darf man also wohl zumindest mit einer Vorschau rechnen, ein fertiges "Ice Cream Sandwich" wird es hingegen (zumindest in seiner Betriebssystem-Ausformung) kaum vor dem Sommer geben.
APIs
Android ist natürlich nicht Interface alleine, entsprechend wird eine neue Software-Version auch wieder so manche Verbesserung "unter der Haube" mit sich bringen. Außer Frage steht, dass Smartphones künftig auch von den diversen Honyecomb-Verbesserungen profitieren sollen, etwa von der 2D-Hardwarebeschleunigung des UIs, oder auch von - gerade für den Enterprise-Bereich wichtigen - Features wie der vollständigen Systemverschlüsselung. Durch eine kleine Unachtsamkeit von Adobe ist zudem bereits bekannt, dass "Ice Cream Sandwich" - dort übrigens Android 3.1 genannt - die hardwarebeschleunigte Wiedergabe von Flash-Videos ermöglichen wird.
Kritik
Ein gewisses Spannungspotential bietet darüber hinaus die Frage, ob Google auf nicht verstummen wollende - oder aktuell neu hinzugekommene - Kritikpunkte eingehen wird, oder gar Lösungsansätze parat hat. Dazu zählt der Dauerbrenner "Fragmentierung" der Plattform ebenso wie die verärgerten Reaktionen auf die für unbestimmte Zeit verschobene Auslieferung des Android 3.0 "Honeycomb"-Source-Codes. Auch aus einer Sicherheitsperspektive gibt es angesichts des vor einigen Wochen erfolgten Einschleusens von Trojanern in den Android Market durchaus Diskussionsbedarf.
Schon auf der letztjährigen I/O hatte Google durchblicken lassen, dass man einen eigenen Musikservice aufbauen möchte. Dass sich die Verhandlungen mit der Musikindustrie über die Lizenzierung dermaßen lange ziehen, hat man bei dem Softwarehersteller hingegen wohl kaum erwartet. So bleibt ungewiss, ob und in welcher Form "Google Music" ein Debüt auf der I/O 2011 geben wird. Berichte hatten zuletzt davon gesprochen, dass man bei Google mittlerweile dermaßen entnervt von der Verzögerungstaktik der Musikindustrie ist, dass man über einen Alleingang nachdenkt. Konkret würde dies bedeuten, dass Google "nur" einen Cloud-Speicher anbietet, mit dem die NutzerInnen ihre eigene Musik online ablagern können, wie es seit einigen Wochen - ebenfalls ganz ohne Lizenz - Amazon bereits vormacht. Dass Google an einem solchen Online-Service arbeitet, ist durch eine "geleakte" Versionen einer neuen Musikanwendung für Android bereits seit Monaten bekannt. Der anvisierte Musik-Store à la iTunes ist so ganz lizenzfrei hingegen freilich nicht möglich.
Spotify
Erneut aufgeflammt sind darüber hinaus Gerüchte, dass Google gerne mit dem Musik-Service Spotify zusammenarbeiten will, womit man zumindest in einigen Ländern indirekt die nötigen Lizenz-Abmachungen kassieren würde. Eine wirklich zufriedenstellende Lösung wäre aber wohl auch das nicht für Google, kämpft Spotify selbst doch schon geraume Zeit mit Problemen die Deals mit der Musikindustrie für den lukrativen US-Markt ins Trockene zu bekommen.
GoogleTV
Nicht so recht vom Fleck kommt bislang GoogleTV, was natürlich nicht bedeutet, dass der Hersteller dieses aufgegeben hat. Ganz im Gegenteil: Glaubt man aktuellen Berichten, arbeitet das Unternehmen derzeit an GoogleTV 2.0, das auf "Honeycomb"-Basis endlich den erhofften Erfolg bringen soll. Dazu soll nicht zuletzt die seit langem versprochene Integration mit dem Android Market beitragen. Auch sonst will man sich offenbar dem restlichen Android annähern, GoogleTV künftig aus dem selben Codezweig wie Smartphones und Tablets speisen.
Chrome
Schon jetzt ein echtes Erfolgsprodukt von Google ist hingegen der Browser Chrome, der seit seinem Auftauchen kontinuierlich an den Marktanteilen von Firefox und Internet Explorer knabbert. Wirklich große, technische Überraschungen sind in dieser Hinsicht allerdings kaum zu erwarten, wird Chrome doch - im Gegensatz zu Android - wirklich vollständig "offen" entwickelt, alle Änderungen sind also praktisch umgehend einsehbar. Dies gilt auch für das Linux-basierte Betriebssystem ChromeOS, bei dem der Browser das zentrale Element bildet. Insofern bleibt rund um ChromeOS vor allem die Spannung, welche Hardwarepartnerschaften Google aus dem Hut zaubern kann - von Netbooks bis Tablets ist hier derzeit so manches im Gespräch.
Soziales
Dass der "soziale" Bereich - und dabei vor allem Googles sich zunehmend verschärfende Konkurrenz zu Facebook - eine zentrale Rolle in den Zukunftsplanungen des Softwareherstellers einnimmt, ist durchaus bekannt. Nichtsdestotrotz soll es auf der I/O angeblich keine "große" Ankündigung in diesem Bereich geben, dies behauptet zumindest ein aktueller Bericht von Techcrunch unter Berufung auf mehrere Quellen.
Abwarten
Von all dem abgesehen ist Google natürlich auch immer für die eine oder andere Überraschung gut. Alles in Allem darf man also auf die Google I/O 2011 durchaus gespannt sein - und sei es nur um der Frage nachzugehen, wie aktiv sich Neo-CEO Larry Page in die Konferenz und ihre Keynotes einbringen wird.
Bericht
Der WebStandard ist bereits vor Ort und wird in den kommenden Tagen direkt aus San Francisco ausführlich über die Konferenz und alle dort vorgetragenen Neuerungen berichten.
Update, 19:00
Mittlerweile gibt Google selbst in einem Blog-Posting erste Hinweise auf die Neuerungen der I/O: Darin heißt es, dass sich die Keynotes ganz um die Bereiche Android und Chrome drehen werden. Andy Rubin und Sundar Pichai sollen dabei neue Features und kommende Updates vorzeigen. Die Keynotes und einzelne Sessions werden übrigens live ins Netz gestreamt.
(Andreas Proschofsky aus San Francisco, derStandard.at, 09.05.11)