Soll Opfer eines Verfahrensfehlers sein: Lamin J.

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Wieder sorgt ein Abschiebungsfall für Aufregung: In Hall in Tirol soll der 20-jährige Lamin J. am Montag abgeschoben werden, obwohl er laut seinen BetreuerInnen „ein klarer Fall für das Bleiberecht" wäre: J., der mit 15 Jahren alleine nach Europa geflohen und in Österreich seinen Asylantrag gestellt hat, habe in den vier Jahren seines Aufenthaltes hier Wurzeln geschlagen, sagt sein Rechtsberater Ralf Niederhammer von der Unabhängigen Flüchtlingsberatung der Diakonie: Er habe Deutsch gelernt, ein A2-Sprachdiplom in Händen, bei diversen Projekten ehrenamtlich mitgearbeitet, verfüge über Freundeskreis und ein Jobangebot, das er mangels Aufenthaltstitel nicht annehmen darf. 

Abschiebung am Dienstag

Am Dienstag, so Niederhammer, soll J. via Brüssel nach Gambia abgeschoben werden. Ein Antrag auf humanitären Aufenthalt wurde von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck zurückgewiesen. Begründung: Seit der Ablehnung des Asylantrags im Juni 2007 sei „keine maßgebliche Veränderung des Sachverhalts" zu bemerken. 

Genau diese Begründung ist es, die BeobachterInnen Kopfzerbrechen bereitet: Im Juni 2007 habe sich J. erst seit einem halben Jahr in Österreich aufgehalten. In den Jahren danach habe er sich schrittweise hier integriert. 

"Integration nicht geprüft"

„Seit 2007 ist J.s Integration nicht mehr geprüft worden - ein klarer Verfahrensfehler", ärgert sich Niederhammer. Dem widerspricht der zuständige Beamte in der BH Innsbruck, Klaus Lamplmayr: „Wir haben das geprüft, und ja, der Sachverhalt hat sich verändert. Aber er hat sich eben nicht maßgeblich verändert." 

Ganz anders sieht das der Innsbrucker Rechtsanwalt Max Kapferer: „J. war bei der Erlassung der Ausweisung erst 16 Jahre alt. Seine gesamte Entwicklung in den letzten vier Jahren wird als nicht maßgeblich negiert", so Kapferer, dabei seien gerade die Jahre zwischen dem 16. und dem 20. Lebensjahr „im Leben eines jungen Menschen für seine persönliche Entwicklung enorm wichtig" .
Dazu kommt, dass sich J. in den drei Jahren seit seinem Ausweisungsbescheid nicht einfach der Fremdenpolizei widersetzte, sondern in der Hoffnung auf Legalisierung im Land blieb: Kurz nach Ablehnung seines Asylantrags im Juni 2007 erhob er Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof - doch der brauchte drei Jahre, um die Beschwerde zurückzuweisen.

Gerichtsurteil

Auf Nachfrage von derStandard.at deutet BH-Beamter Lamplmayr einen weiteren Grund an, warum J. nicht hierbleiben darf: „Wir müssen auch die strafrechtliche Unbescholtenheit prüfen. Mehr kann ich dazu nicht sagen."

Dass eine strafgerichtliche Verurteilung vorliege, gibt auch Rechtsberater Niederhammer zu. Allerdings handle es sich um eine Geldstrafe mit einer Probezeit von drei Jahren - und es gehe weder um Gewalt, noch um eine Vermögensstraftat, sondern um „eine Lächerlichkeit".

Lächerlich oder nicht - die Tatsache, dass drei Jahre Frist gewährt wurden, sei "ein deutliches Zeichen, dass auch das Gericht dem Verurteilten eine positive Prognose ausstellt, dass er nicht mehr straffällig wird", meint Anny Knapp von der Asylkoordination. Und genau darum gehe es bei der Integrationsbeurteilung - „ob er zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit werden könnte". Im übrigen sei die Unbescholtenheit „kein Knock-out-Kriterium, sondern immer in Abwägung mit den anderen Integrationskriterien zu gewichten". 

Jetzt liegt der Ball beim Innenministerium, das über die Berufung gegen den BH-Bescheid entscheiden muss. Laut Niederhammer ist J.s Abschiebung für Dienstag sieben Uhr angesetzt.

SP-Landesrat: "Entscheidung abwarten"

Die Tiroler Grünen orten im Vorgehen der Bezirksbehörden einen "skandalösen Verfahrensfehler", der nun geprüft werden müsse. Vorsichtige Skepsis kam am Montag vom Integrations-Landesrat Tirols, Gerhard Reheis: Im derStandard.at-Gespräch meinte Reheis, er würde sich "schon vorstellen, dass man die rechtskräftige Entscheidung abwartet, bevor man die Abschiebung durchführt".
 (Maria Sterkl, derStandard.at, 9.5.2011)