Zur Person: Radwan Ziadeh ist Gründer und Direktor des Damascus Center for Human Rights Studies. 2001 gehörte er zu den Aktivisten des "Damaszener Frühlings", die ein Ende der Einparteienherrschaft forderten. Der Politikwissenschafter lehrt und forscht seit 2007 in Washington und kann derzeit nicht nach Syrien zurück, wo er per Haftbefehl gesucht wird. Information aus Syrien bekommt er von Augenzeugen, Freunden und Bekannten vor allem via Skype.

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Radwan Ziadeh, Gründer und Direktor des Damascus Center for Human Rights Studies, gehörte 2001 selbst zu den Aktivisten des "Damaszener Frühlings", die ein Ende der Einparteienherrschaft forderten. Nun kann Ziadeh nur von außen zusehen, denn er musste Syrien verlassen. Der Politikwissenschafter, der in Washington lebt, sieht die Entschlossenheit seiner Landsleute und gleichzeitig die des Regimes. Er sendet einen Apell an die Internationale Gemeinschaft, die Gewalt in Syrien schärfer zu verurteilen. Ansonsten seien weitere Massaker nicht auszuschließen.

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derStandard.at: Eine offizielle Sprecherin des syrischen Präsidenten hat vor kurzem verkündet, man hätte mittlerweile die Oberhand über die Demonstrierenden und das Ende der Proteste wäre nur mehr eine Frage der Zeit. Was meinen Sie?

Radwan Ziadeh: Natürlich ist die Situation für die Demonstrierenden derzeit denkbar schlecht. Gerade erst habe ich mit einem Bekannten aus Homs gesprochen, der mir berichtete, dass es dort eine Art Belagerungszustand gäbe, als wäre eine ausländische Macht eingefallen. Homs hat circa eine Million Einwohner, derzeit gibt es dort über 60 Checkpoints des Militärs. Man kann nicht mal die Straßenseite wechseln ohne irgendeine offizielle Erlaubnis von ganz oben. Und sich zwischen den Städten frei zu bewegen ist quasi unmöglich.

Das mag für das Regime eine Art Sieg sein, ja. Aber diese Situation kann nicht für immer aufrechterhalten bleiben. Die syrische Bevölkerung und auch Minderheiten wie die Kurden werden sich weiter dagegen wehren. Die Zahl der Empörten steigt weiter. Die Syrer haben keine Angst mehr vor dem Regime. Die Demonstrationen werden weitergehen, bis das Regime zurücktritt.

derStandard.at: Was sagen Sie dazu, dass die Regierung immer wieder versucht, diese Proteste kleinzureden und sie einigen wenigen Radikalen in die Schuhe zu schieben?

Radwan Ziadeh: Das glaubt ihnen ohnehin kein Mensch. Auch haben offizielle Vertreter längst eingestanden, dass das direkt und breit aus der syrischen Bevölkerung kommt. Trotzdem wird befohlen, auf die Leute zu schießen. Es ist Zeit, dass die Internationale Gemeinschaft den Druck auf das Regime weiter erhöht. Das wichtigste ist jetzt, weiter an der Resolution des Sicherheitsrates zu arbeiten, auch wenn die russische Position derzeit eine ablehnende ist. Eine eindeutige Botschaft an das syrische System wäre es auch, diesen Fall zur Angelegenheit für den Internationalen Gerichtshof zu machen.

derStandard.at: Was sind die konkreten Forderungen der Protestierenden und haben sich diese in den letzten Wochen verändert oder konkretisiert?

Radwan Ziadeh: Die Forderungen sind eigentlich sehr allgemein gehalten: Freiheit, Wandel von einem autoritären Regime zu einem demokratischen, eine neue Verfassung, freie und faire Wahlen, Rechte für die Minderheiten. Aber das Assad-Regime zeigt keinerlei Bereitschaft für einen Wandel.

derStandard.at: Wer sind die Anführer der Bewegung?

Radwan Ziadeh: Einige Leute haben sich hier hervorgetan. Sie werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Da sind zum Beispiel Gassan Al Najar oder Mohammed Lamar. Wenn das syrische System wirklich wie angedeutet Gespräche führen will, werden sie mit am Tisch sitzen.

derStandard.at: Glauben Sie dieser Ankündigung, Gespräche führen zu wollen?

Radwan Ziadeh: Derzeit muss ich sagen habe ich eher das Gefühl, die syrische Situation entwickelt sich in eine libysche Richtung. Die Situation ist alarmierend und Massaker in naher Zukunft sind leider nicht auszuschließen.

derStandard.at: Amnesty International geht davon aus, dass allein in den letzten Tagen mehr als 350 Personen verhaftet wurden. Das syrische Regime soll die Menschen sogar in Fußballstadien festhalten. Was hören Sie darüber?

Radwan Ziadeh: Das Regime funktioniert nicht nur Fußballstadien zu Gefangenenlagern um, sondern auch Kinos. Und hier zeigt sich das grausame Gesicht des Regimes: Folter steht an der Tagesordnung.

derStandard.at: Ist jemand aus Ihrer Familie oder Ihrem Freundeskreis auch betroffen?

Radwan Ziadeh: Zwei meiner Cousins und mein Onkel wurden bei den Razzien verhaftet. Sie kamen um vier Uhr morgens und brachen die Tür auf. Schwerbewaffnete nahmen sie mit. Bis jetzt haben wir nichts mehr von ihnen gehört. Auch einige meiner Freunde wurden verhaftet. Sie alle müssen mit schwerer Folter rechnen. Es wird geschlagen, Elektroschocks werden verwendet. (mhe, derStandard.at, 13.5.2011)