"Almanya - Willkommen in Deutschland" ist eine deutsche Gastarbeiter-Komödie, die ab 13. Mai in den österreichischen Kinos startet. DaStandard hat das Schwesternpaar Yasemin und Nesrin Samdereli, die für Regie und Drehbuch zuständig waren, zum Entstehungsprozess und Inhalt des Films befragt. Mit dabei war auch Hauptdarsteller Vedat Erincin, der den mittlerweile gealterten und eingebürgerten Gastarbeiter, Hüseyin Yilmaz verkörpert. Herausgekommen ist ein interessantes Gespräch über die Kindheit als Funkenmariechen und das Provokative an der Integrationsdebatte.
daStandard.at: Der Film "Almanya - Willkommen in Deutschland" erzählt die Geschichte einer türkischen Gastarbeiter-Familie aus einem sehr humoristischen Blickwinkel. Wolltet ihr das Thema einmal aus einer anderen Sicht darstellen?
Nesrin Samdereli: Ja, sehr bewusst sogar. Die ersten Filme, die überhaupt zum Thema Migration mit türkischem Hintergrund gemacht wurden, waren ja immer sehr schwere Dramen. Und in den letzten vierzig Jahren hat sich das nicht so verändert. Im Kino ist es meistens immer noch das Drama, aber mittlerweile gibt es im Fernsehen die eine oder andere Serie, wo man versucht das ganze komödiantisch zu machen. Was wir halt wollten, war ohne flachen Humor zu erzählen, sondern irgendetwas dazwischen zu finden, also eine humoristische Weise und die subjektive Geschichte dieser Gastarbeiter-Familie. Aber trotzdem mit diesen melancholischen Tönen, die das Thema auch hat und die man als Mensch durchlebt. Es war uns ein Anliegen, das ganze in einer anderen Tonalität zu erzählen als bisher.
Yasemin Samdereli: Seit der ersten Fassung wollten wir mal was anderes erzählen, auch eine andere Realität. Es war immer befremdlich für uns, dass unsere Realität, und die von vielen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, kaum auffällt. Ärztinnen, Rechtsanwältinnen, Yoga-Lehrer oder DJ, die Beispiele wo's gut läuft, fallen eben nicht auf, sondern die negativen. Und unser Ansatz war, ganz bewusst zu sagen, wir wollen mal eine etwas modernere Familie zeigen, wo es eben nicht gleich zum Ehrenmord kommt.
daStandard.at: Es hat ja verschiedene Drehbuch-Fassungen gegeben, insgesamt fünfzig. Wie ist es denn dazu gekommen?
Nesrin Samdereli: Wir hatten ja sehr viel Zeit, weil die Finanzierung nicht zustande kam. Vor allem scheiterte es an den Fernsehsendern, die man ja immer braucht, damit das Geld für den Kinofilm zusammenkommt. Man war aber sehr skeptisch, ob es das Publikum dafür gibt, gerade weil's humorvoll war, weil's eben keine Ehrenmord-Geschichte war. Wir haben die Zeit, bis wir das Geld hatten, genutzt um die Geschichte weiterzuentwickeln.
daStandard.at: Habt ihr euch aus dem eigenen familiären Umfeld oder dem Bekanntenkreis Anleihen für das Drehbuch geholt?
Yasemin Samdereli: Wir hatten natürlich viele Dinge, die uns unsere Verwandten und Bekannte erzählt haben. Es gibt auch autobiographische Züge, diese Kindheitserinnerungen haben sehr viel mit dem zu tun, was Nesrin und ich erlebt haben. Nur dass unsere Kindheit noch absurder war. Nesrin zum Beispiel war Funkchenmariechen (Anm. d. Red. tanzendes Mädchen bei einer Karnevalsgarde) und ich in einem Spielmannszug.
daStandard.at: Es wird ja im Film auch sehr vieles aus der kindlichen Sicht über die Ankunft und das Leben in Deutschland als Gastarbeiterkind geschildert. Wie war das für euch als Gastarbeiterkinder aufzuwachsen, hattet ihr auch dieses Identitätsproblem wie Cenk, der Enkelsohn von Hüseyin, der nicht weiß, wo er dazugehört?
Yasemin Samdereli: Das Identitätsproblem schon. Aber wir verstanden ja sehr früh schon die deutsche Sprache. Wir hatten nicht dieses "Was reden die da?". Das hatte die erste Generation und die erzählten uns das auch. Das wird auch Vedat (Anm. d. Red. Vedat Erincin, der den Hauptdarsteller Hüseyin spielt) ähnlich empfunden haben denke ich.
daStandard.at: Da Sie ihn schon erwähnen, frag ich ihn gleich direkt: Wie war das damals für Sie Herr Erincin?
Vedat Erincin: Ich gehöre nicht zur typischen ersten Generation, ich bin als Student hergekommen. Diese Einkaufsszene mit Brot und Milch, wo der Verkäufer einen nicht versteht, hat der eine oder andere sicher erlebt. Wichtig war, dass die Kinder zuerst die Sprache gelernt haben. Sehr viele Bekannte haben ihre Kinder als Dolmetscher mitgenommen, auch bei den Behörden.
Yasemin Samdereli: Das kennt glaub ich jedes Gastarbeiterkind. Ich auch. Ich fand diese Peinlichkeit sehr lustig. Wie schlimm das eigentlich für die Kinder ist, mit der Mutter oder dem Vater zum Arzt zu gehen, die wurden ja überall hingeschleppt. Was uns die erste Generation erzählt hat, da war auch sehr viel Witziges dabei, nicht allzu Feindliches. Das fanden wir erstaunlich. Als wir aufwuchsen, war das Bild schon dunkler gefärbt. Deswegen waren wir so fasziniert, wenn sie erzählten, dass die deutsche Nachbarin zum Mokkatrinken kam, obwohl die kein Wort miteinander reden konnten. Die hatten am Anfang noch nicht so eine Panik voreinander.
daStandard.at: Ist es heutzutage, wenn man sich die Integrationsdebatte, vor allem seit Sarrazin so anschaut, aufgeheizter als früher?
Yasemin Samdereli: Ich hab schon das Gefühl, dass der Vorwurf "Jetzt passt euch halt endlich an" immer vehementer wird. Weil man eben das andere, die Erfolgsgeschichten, nicht wahrnimmt.
Vedat Erincin: Allein nach fünfzig Jahren eine Debatte über Integration zu führen ist schon für viele Menschen eine Provokation. Die Menschen fühlen sich bereits hier angepasst, aber die wollen nicht alles aufgeben, die behalten halt ihre Kultur.
Yasemin Samdereli: Viele vergessen ja auch, dass das einfache Leute mit wenig Schulbildung waren, dass man einem Analphabeten nicht einfach ein Buch zum Deutschlernen in die Hand drücken kann. Unser Großvater zum Beispiel hat zeit seines Lebens gearbeitet - um den Knopf zu drücken und die Maschine zu bedienen musste er aber nicht gut Deutsch können. Jetzt wird es so dargestellt, als ob es eine Verweigerung wäre. Viele würden sich leichter tun, wenn man diese Angst wieder abbauen würde. Sie sehen nicht mehr das Menschliche, sondern in erster Linie Kulturen, die aufeinanderprallen.
daStandard.at: Im Film geht es ja um eine angepasste Familie. Die Eltern lernen beispielsweise von ihren Kindern wie man Weihnachten mit allem Drumherum wie Weihnachtsbaum und Glöckchen feiert.
Yasemin Samdereli: Das wird ja auch nie gesehen, all die Familien, die sich wirklich sehr bemühen. Es wird Augenmerk auf etwas gelegt, was mit Kultur gar nicht so viel zu tun hat. Ich leb ja aktuell am Übergang zwischen Berlin-Kreuzberg und Neukölln und da wird dann so getan, also ob Hartz-IV und Arbeitslosigkeit nur ein Kulturproblem wäre. Das stimmt aber nicht, da siehst du auch relativ viele Deutsche, die nicht grade rosig dastehen, die genauso unglücklich und aggressiv sind und eine proletische Sprache haben. Das hat mehr mit den sozialen Faktoren zu tun, als mit den kulturellen.
daStandard.at: Nicht nur die arbeitslosen Problemteenager sind in den Medien überrepräsentiert, sondern auch das Bild des patriarchalen Machos, der seine Frau unterdrückt. Im Film gibt aber Hüseyins Frau Fatma eher den Ton an, sie hat ihn ja dazu gedrängt den deutschen Pass zu beantragen und reagiert sehr wütend, weil er ohne ihr Einverständnis und Wissen ein Haus in der Türkei gekauft hat.
Yasemin Samdereli: Ich finde Hüseyins Charakter ganz spannend, weil er etwas natürlich Kluges und Sensibles an sich hat, er ist jetzt nicht der totale Softie, aber doch sehr aufmerksam. Als Spiegel dazu dient die Fatma-Figur, wo man hoffentlich merkt, dass das was nach außen scheint, oft nicht so ist. Dieses Bild der kopftuchtragenden Frauen, die zuhause den Mund nicht aufmachen, ist natürlich vollkommener Blödsinn. Es ist ja oft so, dass sie sehr genau wissen, was sie wollen und das auch artikulieren.
Vedat Erincin: Hüseyin ist ja ein sehr liebevoller Vater, der sich um seine Familie kümmert, auch wenn er dieses machohafte Verhalten eigentlich behalten will.
daStandard.at: Hüseyin ist ja auch als Großvater sehr einfühlsam im Umgang mit seiner Enkeltochter Canan, die ein Kind von ihrem geheimen britischen Freund erwartet, aber das vor ihrer Mutter verheimlicht. Sie wird von ihm nicht gemaßregelt oder verstoßen, sondern getröstet und in den Arm genommen.
Yasemin Samdereli: Genau. Das war auch eine Szene, die man sehr gut benutzen kann, um zu zeigen, dass es auch türkische Männer gibt, die nicht gleich das Messer ziehen. (Güler Alkan, 11. Mai. 2011, daStandard.at)