Letzte Woche ist der letzte bekannte Teilnehmer am Ersten Weltkrieg hundertzehnjährig gestorben. Er war einst Matrose der Royal Navy auf einem britischen Schlachtschiff. Und auch die Männer, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, sterben allmählich aus. Während bei uns um die Abschaffung oder Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht gestritten wird, ist für die meisten Menschen in unseren Breiten der Krieg eine virtuelle Angelegenheit "wenn fern in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen". Und folgerichtig dreht sich der Wehrpflichtdiskurs auch um alles Mögliche, nur nicht darum, ob der Typus des Soldaten, seine Werte und seine Tugenden, in unserer Gesellschaft noch Platz haben.

Jahrhundertelang war das anders. Wer will unter die Soldaten, sangen die Kinder. Man bewunderte siegreiche Heerführer. In allen europäischen Hauptstädten stehen Denkmäler von uniformierten Helden hoch zu Ross. Einst populäre Lieder handeln von Prinz Eugen, dem edlen Ritter, und vom General Laudon, der in die Festung einrückt "wo die Soldaten sein". Und der Militärdienst war auch in Friedenszeiten für einen jungen Mann so etwas wie das Tor zum Erwachsenwerden.

Damit ist in Deutschland und Österreich ein für alle Mal Schluss. Seit deren Soldaten, willig oder unwillig, für die schlechteste Sache der Welt in den Kampf zogen, hat sich unser Bild von Kriegern und Kriegshandwerk um hundertachtzig Grad gewendet. Glanz und Gloria sind weg. Wir leben in einer durch und durch unmilitärischen Gesellschaft. Es ist nachvollziehbar, wenn manche Ex-Kriegsteilnehmer traurig waren und sind, wenn Briten, Franzosen und Russen alljährlich in diesen Tagen mit Stolz den Sieg über Nazideutschland feiern, mit Fahnen, klingendem Spiel und dem Aufmarsch von ordensgeschmückten Veteranen. Bei uns stehen diese Feiern mit Recht unter dem Motto "nie wieder". Und die paar Ewiggestrigen, die ein verhatschtes "Heldengedenken" versuchen, wirken halb lächerlich und halb ärgerlich.

Dieses zwiespältige Verhältnis zum Militär spiegelt sich, meistens unausgesprochen, auch in unserem Streit um die Wehrpflicht. Es scheint ausschließlich darum zu gehen, was ein Berufsheer kostet und wie man ohne Bundesheer Katastrophenschutz und Zivildienst organisiert. Muss man dazu die Leute im Schießen und Marschieren ausbilden? Auch unsere militärischen Auslandseinsätze haben längst kaum mehr etwas mit Kämpfen zu tun, sondern beschränken sich meistens auf Bewachungs- und Organisationsaufgaben. Und die Uniformen? Die Kampfanzüge sind den Amerikanern abgeschaut, die "eigenen" sind, wohl nicht zufällig, grottenhässlich.

Man dürfte nicht fehlgehen, wenn man hinter der Auseinandersetzung um die Wehrpflicht mehr vermutet als nur pragmatische Beweggründe, Parteiengezänk und die Konkurrenz verschiedener "Modelle" der künftigen Heeresorganisation. Die Offiziere gegen den Verteidigungsminister und einstigen Zivildiener: Da prallen Weltbilder aufeinander, die tief in unterschiedlichen Traditionen, Grundsätzen und Idealen verankert sind. Letzten Endes geht es darum, ob wir auch weiterhin Soldaten schätzen und haben wollen. Es wäre kein Fehler, das auch offen zu diskutieren. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, Printausgabe, 12.5.2011)