Dinge und Klangvehikel bewegen: Pia Palme.

Foto: Nikolaus Karlinskýx

Wien - "Ein Festival wie dieses sollte irgendwann nicht mehr notwendig sein, das ist das Ziel, definitiv." Es mag im ersten Moment befremden, wenn eine Veranstalterin die langfristige Arbeitsvorgabe formuliert, sich selbst eines Tages überflüssig zu machen.

In Bezug auf das weibliche Musikschaffende fokussierende Festival e_may macht eine derartige Devise freilich Sinn. Wobei der Zeitpunkt der erfolgsbedingten Projektauflösung kein allzu naher sein dürfte, denn, so Pia Palme, die das Festival 2007 mit Stimmperformerin Gina Mattiello begründet hat: "Meine Kollegin Elisabeth Schimana hat kürzlich ausgerechnet, wie viele Komponistinnen bei österreichischen Musikfestivals gespielt werden. Das Ergebnis war erschreckend, der Anteil lag zwischen null und 14 Prozent. Was in keinster Weise dem Anteil komponierender Frauen entspricht."

In den vier Jahren seit der Erstauflage habe e_may, das seit 2010 mit dem Ensemble Phace kooperiert, durchaus Dinge bewegt, so die gebürtige Wienerin: Das Festival kooperiere heuer etwa mit den Klangspuren Schwaz. Und: "Man merkt, wie oft Stücke bei anderen Veranstaltungen auftauchen, die für e_may geschrieben wurden."

Acht Kompositionsaufträge wurden 2011 vergeben, mit einem hat sich Pia Palme selbst bedacht: Wobei sie sich für das im Team realisierte Opus Fernraum aufgrund des knappen Budgets keine Gage bewilligte. Im Mittelpunkt steht eine Palme-Komposition für die barocke Oboe da caccia, umrahmt von Duo-Improvisationen mit Klaus Lang, der via Web-Stream von der Orgel des steirischen Benediktinerstifts St. Lambrecht aus kommuniziert. Medienkünstlerin Lale Rodgarkia-Dara schließlich erweitert die Performance mittels eigener Zuspielungen zur Live-Radiosendung, die via Radio Orange zu hören ist.

Als improvisierende Komponistin steht Pia Palme indessen nicht nur paradigmatisch für e_may, sondern auch für einen Typus von Musikschaffenden, der in den letzten Jahren in Wien gleichsam eine eigene Subzene geschaffen hat: Abseits der Idiomatik und der Expressivität des Jazz nähern sich hier offene Geister der Improvisation mit den Strukturkonzepten und den Klangvorstellungen der zeitgenössischen Komposition.

"Für mich war ein Workshop mit dem Schlagzeuger Jerry Granelli in Colorado im Jahr 1990 wichtig: Er hatte einen sehr körperlichen Zugang zur freien Improvisation, das war für mich Labsal. Ich habe zuerst in Wien Komposition studiert und dann im dritten Jahr das Handtuch geworfen. Das das war mir zu abstrakt. Ich wollte kein , Schreibtischtäter' sein", so Palme, die vor einigen Jahren Subbassblockflöte und Elektronik als ihren zentralen Klangvehikel erwählte. Und die damit farben- und kontrastreiche Improvisationsdialoge mit Electric Indigo alias Susanna Kirchmayr und JSX alias Jorge Sanchez-Chiong führt: Nachzuhören auf der 2010 bei den Artacts in St. Johann/Tirol mitgeschnittenen, soeben veröffentlichten CD Terrain (Idyllic Noise). Wobei die kreative Erfüllung in der Pendelbewegung zwischen Improvisation und Komposition liegt. Palme: "Eine Zeitlang wollte ich mich in der Improvisation ,entkonditionieren' vom Gelernten, ich wollte vergessen. Ob das überhaupt geht, ist die Frage. Heute finde ich das Spielen von Kompositionen anderer auch deshalb wieder interessant, weil es mich von meinen eigenen Mustern wegführt."  (Andreas Felber / DER STANDARD, Printausgabe, 12.5.2011)