Das Verbreitungsgebiet der Neandertaler. Im Kaukasus (Mesmaiskaja-Höhle) und in Südsibirien (Okladnikow) starben sie vor 40.000 Jahren aus. Womöglich überlebten sie im Norden länger.

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Zwei der etwa 33.000 Jahre alten Steinwerkzeuge aus Byzovaya.

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Die Fundstelle der Steinwerkzeuge in Byzovaya mit einem Mammutzahn.

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Stammen die Funde von den letzten Neandertalern oder doch von unseren Vorfahren? Die Forscher rätseln.

Washington/Wien – Bevor unsere nächsten Verwandten vor rund 40.000 Jahren ausstarben, waren die Neandertaler in ganz Europa, Teilen Asiens und des Nahen Ostens weit verbreitet. Danach blieb nur mehr der anatomisch "modernere" Homo sapiens übrig, also unsere unmittelbaren Vorfahren.

Wann und wo genau die letzten Vertreter von Homo neanderthalensis starben und warum, darüber wird in der Forschung seit langem heftig debattiert. Unklar ist unter anderem, ob die Konkurrenz der beiden Menschenarten eine Rolle spielte und wie oft sie überhaupt – buchstäblich – in Berührung kamen.

Vergleichende genetische Untersuchungen an erhaltener Neandertaler-DNA mit der von modernen Menschen legen jedenfalls nahe, dass es wohl auch zu einigen wenigen sexuellen Kontakten gekommen sein muss. Als ein Ort, wo das passiert sein könnte, galt bis vor kurzem der Nordkaukasus, konkret: die Gegend nordöstlich des Schwarzen Meers. Forscher gingen nämlich davon aus, dass sich das Alter der dort gefundenen Überreste von modernen Menschen und Neandertalern überschneiden würde – und dass die Neandertaler dort womöglich bis vor 30.000 Jahren überlebt haben.

Eine neue Studie, die Anfang dieser Woche von einem britisch-russischen Forscherteam im Fachblatt PNAS veröffentlicht wurde, stellt diese Behauptung nun aber massiv in Frage. Ron Pinhasi und Kollegen haben die Neandertaler-Fossilien aus der Mesmaiskaja-Höhle erstmals mit einer Methode, die auf Analysen des Kohlenstoffisotops C-14 basiert, direkt datiert.

Dabei zeigte sich, dass das Skelett eines Neandertaler-Kindes, dass auf rund 30.000 Jahre geschätzt wurde, doch rund 40.000 Jahre alt ist. Das wiederum deutet darauf hin, dass die Neandertaler in dieser Region früher verschwanden als gedacht und dass unsere unmittelbaren Vorfahren und unsere Verwandten dort nur ein paar hundert Jahre lang Nachbarn waren – wenn überhaupt.

Haben die allerletzten Neandertaler womöglich wo anders länger überlebt? Hinweis darauf könnte ein anderes Anthropologenteam in Sibirien am westlichen Fuß des polaren Urals gefunden haben. Nahe dem Dorf Byzovaya in unmittelbarer Nähe des Polarkreises stießen sie zwar auf keine Knochen von Menschen oder Neandertalern, sondern auf 313 ziemlich junge, von Menschenhand hergestellte Artefakte.

Das Seltsame daran: Obwohl die Werkzeuge von der Machart her extrem einfach sind und Neandertaler-Artefakten ähneln, scheinen sie nach den Analysen der Forscher (im Fachblatt Science, Bd. 332, S. 841) mit rund 33.000 Jahren sehr jung zu sein. Das kann nur zweierlei bedeuten: Entweder hielten sich die Neandertaler hoch im Norden länger und lebten dort neben modernen Menschen. Oder diese waren in Sibirien vor 33.000 Jahren technologisch extrem rückständig. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 13.05.2011)