Sprachen: Englisch, Deutsch, Türkisch. Dialekte: Alle türkischen Dialekte. Nationalität: Österreich, Geburtsort: Türkei. Stand Up Show: "Kara Mustafa, Mozart und Ich" sowie Regie im Theaterstück: "Merhaba Anadolu - Hallo Anatolia". Soweit der künstlerische Steckbrief von Murat Ürgen. Sein aktuelles Kabarett-Programm, das er am 7. Mai in der Brunnenpassage präsentierte, heißt "Halbländer - Der Mann ohne Artikel."
"Halbländer" und "Ganzländer"
Vor einigen Jahren fasste Murat den Entschluss: Ein Kabarett wäre genau das Richtige für den passionierten Theaterdarsteller und Regisseur. Dass es sich dabei um Integration, Frauen und Männer sowie ihr kompliziertes Miteinander handeln würde, war ihm damals noch nicht klar.
Der Begriff "Halbländer", sagt Murat, existiere ja nicht. Der sei ihm eines Tages im Auto eingefallen. "Obwohl es das Wort nicht gibt, wissen die Leute sofort, was gemeint ist - nämlich Ausländer", so der quirlige Mann. Mit dem Begriff "Ganzländer" hat er gleich ein Synonym für "Inländer" in seiner Stand Up Comedy verbaut. Das könne man mit Viertelländer oder Achtelländer immer weiterspinnen, erzählt Murat.
Erster deutschsprachiger Auftritt
"Das Kabarett 'Halbländer' ist eine Art Test für mich gewesen, da es mein erster deutschsprachiger Auftritt war. Ich erzähle dem Publikum - zum Teil in Monolog- und zum Teil in Dialogform - Geschichten aus dem Leben eines Migranten", fasst Murat zusammen. Es sei ein erfolgreicher Testlauf gewesen, bei dem etwa 70 Menschen im Publikum saßen. Auf der Bühne erzählte er ihnen auch von einem Test im Internationalen Kulturinstituts IKI in Wien. "Das Ergebnis des Sprachtests war, dass ich die deutsche Sprache in Wort und Schrift zu 63,4 Prozent kann. Was auch immer das heißt", sagt Murat in nicht einwandfreiem, aber durchaus verständlichem Deutsch.
"Du sprechen sehr gut Deutsch"
Die Begründung zum Kabarett-Untertitel "Der Mann ohne Artikel" ist ebenfalls im Stand Up Programm verpackt: "Meine Tochter machte mich darauf aufmerksam, dass ich die Artikel falsch verwende. Es heißt der Mann, das Auto usw. Ich habe ihr gesagt: Schau mal Melissa, was ist wichtig auf der Welt? Hier und überall? Geld. Und welchen Artikel hat Geld? Das! Okay, wenn du nicht das Geld hast, kannst du niemals die Frau oder der Mann sein, der du möchtest oder das Auto kaufen. Wichtig ist das Geld. Der Rest ist egal. Oder eben scheißegal", lacht er und bezieht sich dabei auf die Botschaft, die sein T-Shirt bei seinem Halbländer-Auftritt kommunizierte. "Wenn du als Ausländer genug Geld am Konto hast, sind Artikel unwichtig. Jeder sagt zu dir: Du sprechen sehr gut Deutsch." Das habe die Leute im Publikum zum Grübeln gebracht.
"Ich komme aus Timberland. Kennen Sie, oder?"
Er verwickle Menschen gerne in skurrile Gespräche, erzählt der 51-Jährige und kramt schmunzelnd eine Anekdote aus seiner Zeit als Kebab-Verkäufer hervor: "Eine Frau fragte mich eines Tages, woher ich komme. Ich komme aus Timberland, habe ich gesagt. Sie wissen, wo das liegt - westlich von Afrika. Sie sagte sofort, natürlich wisse sie, wo Timberland liegt! Meine Schlussfolgerung: Wenn ein Ausländer das Land Timberland kennt, dann muss es ein/e ÖsterreicherIn auch kennen." Dass es sich dabei um eine Schuhmarke handelt, hat er der Dame nicht verraten.
Erste und zweite Besitzerin
Murat Üregen sitzt mit einem Çay vor mir und gibt wild gestikulierend Auszüge seines "Halbländer"-Programms zum Besten. Aus seinem Rucksack ragen Poster, die seit Wochen an Häuserfassaden und Marktständen im Ottakringer Yppenviertel die deutschsprachige Kabarett-Premiere ankündigten. Als sein Mobiltelefon läutet, entschuldigt er sich. Nachdem er aufgelegt hat, sagt er: "Das war meine zweite Besitzerin." Er lacht und erklärt, dass er auch für seine beiden Ex-Frauen einen Alternativbegriff benutzt.
Theaterprojekte nur noch auf Deutsch
Seine erste Theatergruppe gründete Murat 1994 mit einer Kindergruppe in der Volkshochschule Brigittenau, damals noch auf Türkisch. Neue Projekte wie ein Kindertheater ab Herbst oder den Kabarett-Nachfolger "Halbländer II" hat der gebürtige Türke bereits in Planung, "aber die möchte ich alle auf Deutsch bringen, um mehr Menschen zu erreichen."
"Als Sozialarbeiter hatte ich immer Kopfschmerzen"
Auf Wunsch seiner Mutter besuchte Murat Üregen in der Türkei drei Jahre lang die Militärakademie. Nach ihrem Tod wechselte er auf eine englischsprachige Technische Universität. Mit 29 Jahren in Österreich angekommen setzte er das Studium an der TU Wien fort, entschied sich aber wieder für einen anderen Weg und absolvierte die Wiener Sozialakademie. Als Sozialarbeiter war er nur ein Jahr tätig, danach verdiente er sein Geld in der Gastronomie, ohne die Theater- und Filmprojekte jemals ganz aus den Augen zu verlieren. "Die Arbeit mit den türkischen Menschen in Wien bereitete mir Kopfschmerzen. Ich arbeitete als türkischsprachiger Berater in einem Kulturverein und war eine Anlaufstelle für viele Landsleute. Aber als Sozialarbeiter bist du mit allen Problemen der Menschen konfrontiert: ob Schul-, Sprach- oder sexuelle Probleme. Das war zu viel für mich."
Vorbildfunktion
Murat Üregen wollte zwar immer eine Art Vorbild sein, allerdings eher im künstlerischen Bereich. Als erster türkischsprachiger Kabarettist ist er 2001 im Wiener Lokal Siebenstern aufgetreten. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen fehle es seiner Ansicht nach in Österreich an erfolgreichen türkischstämmigen KünstlerInnen im Fernsehen und auf Theaterbühnen. "Ich verstehe nicht, wieso die Herkunft aus einem anderen Land nicht als Bereicherung für das Einwanderungsland gesehen werden kann", kritisiert er. (Eva Zelechowski, daStandard.at, 12. Mai 2011)